20.10.2020 Christopher Prohl

Ganz viel Muße, ganz wenig Ego

Julia Wohlfeld hat bei der Tina Voß GmbH so ziemlich jede Karrierestufe und Abteilung durchlaufen. Nach ihrer Ausbildung und einem Auslandsjahr startete sie bis zum Studienbeginn am Empfang. Im Rahmen ihres Medienmanagement-Studiums implementierte sie als Teilzeit-Kollegin die Social-Media-Strategie des Unternehmens. Anschließend kehrte die heute 33-Jährige in Vollzeit zurück und war zuerst im Recruiting, dann im Vertrieb tätig. Letzteren leitete sie, bevor Tina Voß sie im April vergangenen Jahres schließlich in die Geschäftsführung holte. Im Gespräch mit dem arbeitsblog geben die beiden ebenso redefreudigen wie sympathischen Damen tiefe Einblicke in den spannenden Prozess.

Im April 2019 wurde Julia Wohlfeld (rechts) von Tina Voß in die Geschäftsführung geholt.

arbeitsblog: Frau Voß, Sie standen seit 1996 größtenteils alleine an der Spitze Ihres Unternehmens. Letztes Jahr entschieden Sie sich dann dazu, die Geschäftsführung zu erweitern. Warum?

Tina Voß: Ich werde in dem Zusammenhang oft gefragt, ob ich nicht ein Problem damit hätte, Macht abzugeben? Nee, hab‘ ich nicht. Im Gegenteil: Es ist so geil, das zusammen zu machen! Ich habe die letzten 23 Jahre als alleinige Geschäftsführerin mehr oder weniger durchgehend gearbeitet. Das hat riesigen Spaß gemacht, aber jetzt möchte ich ein bisschen mehr Zeit haben. Und bei manchen Themengebieten, die ich bisher solo beackerte, muss ein neuer Spirit rein. Zum Beispiel, wie wir als Unternehmen mit den großen, neuen Themen – etwa New Work – umgehen wollen.

arbeitsblog: Für diesen neuen Spirit sorgt Julia Wohlfeld. Warum fiel Ihre Wahl auf sie?

Tina Voß: Julia ist schon seit mehr als zehn Jahren in der Firma und es hat sich früh gezeigt, dass sie eine unglaublich gute Kommunikatorin ist, gerne Entscheidungen trifft, keine Angst hat, ihre Meinung zu sagen und ein ganz außergewöhnliches Interesse an den Unternehmensabläufen hat. Eine kleine Anekdote dazu: Als wir das erste Mal gemeinsam mit dem Zug zu einem Termin fuhren, hatte ich – wie immer – Sachen dabei, die ich in Ruhe abarbeiten wollte. Julia guckte mich aber freudestrahlend an und sagte: ‚Wunderbar, zwei Stunden, in denen ich Dich komplett für mich habe und löchern kann!‘ An stilles Abarbeiten war nicht zu denken, aber das Gespräch war super!

Julia Wohlfeld: Und genau das ist der Grund, weshalb ich so schnell in die Aufgaben als Führungskraft und Geschäftsführerin hineingewachsen bin. Mit Tina stand mir von Anfang an eine super Mentorin zur Seite, der ich viele, viele Fragen stellen durfte – und die coolerweise immer ganz geduldig geantwortet hat.

arbeitsblog: Haben Sie sich im Vorfeld einen Plan gemacht, wie Sie das Projekt Doppelspitze angehen?

Tina Voß: Ganz ehrlich, so einen richtigen Plan hatten wir zunächst nicht. Ich dachte, ich zeige Julia eine Zeit lang, wie alles geht, dann machen wir das gemeinsam und gut ist. Heute weiß ich: dem ist nicht so. Darauf hat uns Dr. Gerhard Wohland – ein ganz wunderbarer Berater, den wir für diesen Prozess mit ins Boot geholt haben – in aller Deutlichkeit hingewiesen. Es darf nicht der Anspruch sein, dass Julia in meine Fußstapfen tritt. Sie muss eigene Spuren hinterlassen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie den Job eines Tages viel besser machen wird als ich. Ich wäre ja auch schön blöd, wenn ich eine Geschäftsführerin installierte, die es schlechter macht.

Julia Wohlfeld: Abgesehen davon, dass mir Tina schon so lange ihren riesigen Wissensschatz bereitstellt, lässt sie mich Dinge ausprobieren. Das finde ich wirklich wichtig. Bei anstehenden Entscheidungen sprechen wir uns im Vorfeld ab. Manchmal stimmt Tina mir zu und manchmal sagt sie, dass sie es anders machen würde. Dann obliegt es mir, ob ich meinen Weg durchziehe, ihren Weg gehe oder einen Mittelweg nehme. Aber ganz gleich, wie ich mich am Ende entscheide – ich weiß, dass Tina immer hinter mir steht. Sie zeigt viel Muße und wenig Ego, um mich aufzubauen.


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arbeitsblog: Apropos Entscheidung – wie haben Sie den Entschluss, die Geschäftsführung zu erweitern, intern gegenüber den Kollegen kommuniziert?

Julia Wohlfeld: Wir haben im ersten Schritt die anderen Führungskräfte ins Boot geholt. Eines war dabei ganz wichtig: Ich selbst war bei der Verkündung nicht dabei. Tina hat das alleine gemacht. Uns war nämlich bewusst, dass hier eine wirklich einschneidende Veränderung kommuniziert wird. Deshalb wollten wir den Kollegen Raum geben – auch für Reaktionen wie ‚Ist das heftig!‘ oder ‚Find ich nicht gut!‘.

Tina Voß: Zu solchen Reaktionen kam es aber nicht. Es gab kurz Bedenken, dass ich mich sofort aus der Firma zurückziehen könnte. Nachdem ich auf das Leben meiner Mutter geschworen hatte, das nicht zu tun, war alles super. Wir konnten sogar alle gemeinsam herausarbeiten, dass das Unternehmen mit der Doppelspitze perspektivisch viel besser aufgestellt ist. Einfach, weil in Zukunft nicht mehr alles alleine von mir abhängt. Die Tatsache, dass Julia in die Geschäftsführung rückt, fanden die anderen Führungskräfte nur folgerichtig. An der Wahl gab es nie irgendeinen Zweifel. Diese Natürlichkeit hat es uns dann auch einfach gemacht, die Personalentscheidung gegenüber dem gesamten Team zu kommunizieren.

Wer heutzutage ein guter Chef sein will, muss es aushalten, dass ein Mitarbeiter eine andere, vielleicht gar bessere, Idee hat oder clevere, forsche Fragen stellt. Wer das nicht kann, ist aus meiner Sicht niemand, der eine Zukunft gut gestalten kann.

– Julia Wohlfeld über die heutigen Anforderungen an einen Chef

arbeitsblog: Seit April 2019 arbeiten Sie als Doppelspitze zusammen. Wie sieht die Rollenverteilung zwischen Ihnen in der Praxis aus?

Julia Wohlfeld: Mit der Rollenverteilung haben wir uns tatsächlich sehr intensiv beschäftigt. Tina und ich haben ähnliche Stärken – und zwangsläufig auch ähnliche Schwächen. Daher habe ich mich zu Beginn durchaus gefragt, wie ich sie sinnvoll ergänzen kann.

arbeitsblog: Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Julia Wohlfeld: Tina ist unglaublich viel draußen. Sie horcht in den Markt, ist in den Verbänden aktiv, spricht mit Leuten. Das brauchen wir als Unternehmen – als permanente Standortbestimmung und, um Trends früh zu erkennen. Ich hingegen bin, allein schon, weil ich bis vor eineinhalb Jahren noch operativ im Team mitgearbeitet habe, nah an den Kollegen dran und gemeinsam mit den Führungskräften dafür verantwortlich, dass das Geschäft läuft. Außerdem kann ich mit meinem Wissen um die interne Gemengelage gut einschätzen, welche von Tinas Ideen bei uns umsetzbar sind und welche nicht. Für eine zukunftsfähige Strategie braucht es beide Seiten. Insofern funktionieren wir als Doppelspitze richtig gut!

Tina Voß: Das Thema Rolle ist unglaublich spannend! Nach nunmehr 24 Jahren muss ich immer noch lernen, dass es für viele meiner Kollegen schwer ist, mir als Geschäftsführerin zu widersprechen. Ich pflege nun wirklich keinen autoritären Führungsstil und gehe automatisch davon aus, dass mir die Mitarbeiter schon offen sagen werden, wenn meine Idee schlecht ist. In der Praxis ist das meist anders. Julia aber hatte von Anfang an, auch lange, bevor sie Führungskraft oder Geschäftsführerin wurde, kein Problem damit, mir zu widersprechen.

Julia Wohlfeld: Wer heutzutage ein guter Chef sein will, muss es aushalten, dass ein Anderer eine vielleicht sogar bessere Idee hat oder clevere, forsche Fragen stellt. Wer das nicht kann, ist aus meiner Sicht niemand, der eine Zukunft gut gestalten kann. Hätte Tina mich und meine Fragen damals regelmäßig abgekanzelt, wäre ich sicher nicht lange im Unternehmen geblieben. Folgerichtig muss ich mir heute, wo ich selbst in der Position bin, von meinen Kollegen sagen lassen, wenn ich etwas nicht gut mache – das ist aber auch überhaupt kein Problem, im Gegenteil.

arbeitsblog: Wie laufen inhaltliche Auseinandersetzungen bei Ihnen ab?

Tina Voß: Wir diskutieren beide gerne hart am Wind. Das ist dann nicht immer liebevoll, aber ausnahmslos immer auf die Sache bezogen. Ganz wichtig dabei ist es, zu reflektieren: ‚Möchte ich gerade nur gerne recht haben? Oder stimmt es wirklich, was ich denke?‘ Das können wir zum Glück beide.

Julia Wohlfeld: Tina und ich haben ein gedachtes Fundament, das uns heilig ist und das zu keiner Zeit Risse bekommen darf. Wenn wir uns inhaltlich streiten, dann findet das zu jeder Zeit über dem Fundament statt. Mit diesem Bild vor Augen sind die Auseinandersetzungen leicht auszuhalten – auch, wenn sie inhaltlich durchaus anstrengend sein können.

Ich bin der festen Überzeugung, dass sie den Job eines Tages viel besser machen wird als ich. Ich wäre ja auch schön blöd, wenn ich eine Geschäftsführerin installierte, die es schlechter macht.

– Tina Voß über ihre Nachfolgerin

arbeitsblog: Sind Sie eigentlich privat befreundet?

Julia Wohlfeld: Unsere Beziehung ist schwer zu fassen. Wir haben sicher eine andere, intensivere, herzlichere Beziehung, als man sie für gewöhnlich von Geschäftspartnern kennt. Manchmal kommt es mir so vor, als führte ich – neben der mit meinem Mann – mit Tina noch eine zusätzliche, berufliche Ehe. Mit allen Vor- und Nachteilen. Wir lieben und hassen uns. Wir haben beruflich viel miteinander zu tun und brauchen daher privat Abstand voneinander.

Tina Voß: Das ist auch der Grund, warum wir uns zum Beispiel privat nicht gegenseitig zu Geburtstagen einladen oder abends zusammen grillen. Wir machen nichts von dem, was private Freunde miteinander machen. Das ist mir auch wichtig, denn ich möchte keine Freundin im Unternehmen haben. Es wäre echt schwer, das, was tagsüber in der Firma passiert, abends im Privaten nicht zu erwähnen. Gleichzeitig ist Julia als meine Geschäftsführerin aber auch der Mensch, der mir in vielen Dingen am nächsten ist. Das mit uns ist keine private Freundschaft, aber auch keine berufliche Beziehung – es ist das Beste aus beiden Welten.

arbeitsblog: Haben Sie eine Vision, in welche Richtung sich die Doppelspitze Voß-Wohlfeld entwickeln soll?

Tina Voß: Ich denke in Bildern und würde unsere Vision so beschreiben: Julia und ich sitzen in einem Auto. Ganz am Anfang ist Julia hinten eingestiegen, konnte aus dem Fenster gucken, aber nicht mitbestimmen, wohin wir fahren. Am Steuer war ich. Irgendwann hat sie von hinten reingerufen, wo wir doch langfahren könnten – das waren die ersten, zarten Führungsmomente. Später, als Vertriebsleiterin, ist sie auf den Beifahrersitz geklettert und hat recht deutlich gesagt, dass es jetzt besser wäre, links herum zu fahren. Aktuell wechseln wir uns am Steuer ab. Mal fährt Julia, mal fahre ich. Und irgendwann soll es so sein, dass Julia an der Ampel hält und zu mir sagt: ‚Steig Du hier mal aus, ich hole Dich in einer Woche wieder ab.‘

Julia Wohlfeld: Geschäftsführerin zu sein, ist ein toller, anstrengender, fordernder Job – für den ich aber nicht jeden Preis zahlen möchte. Deshalb behalte ich bei alldem stets die Work-Life-Balance und generell meine Gesundheit im Blick. Ich will in zehn Jahren nicht sagen müssen, dass ich im Job zu viel gegeben habe und deshalb krank bin. Das wird perspektivisch nur dann klappen, wenn Tina – und dafür bin ich ihr sehr dankbar – auf Abruf da ist. Mal als Fahrer, mal als Beifahrer, mal auf der Rückbank.

Tina Voß: Ich habe von Julia für Mai 2021 schon den Hinweis bekommen, keinen Urlaub zu nehmen. Da will sie für fünf Wochen weg.

Julia Wohlfeld: Es sind sechs Wochen … :-)


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