„Zeitarbeit ist eine Lösung für heute und morgen“

  • Fachkräfteengpässe werden den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren weiterhin stark prägen.
  • Für Personaldienstleister stellt das ein Hindernis dar – aber auch eine Chance. Denn sie sind erwiesenermaßen krisenerprobt sowie flexibel und tragen mit ihren umfangreichen Leistungen dazu bei, dass Unternehmen stets die passenden Mitarbeitenden zur richtigen Zeit im Einsatz haben.
  • Ihre Stärken zeigt die Personaldienstleistung in zahlreichen Bereichen – von der IT über das Handwerk bis hin zur Pflege.
  • Auf welche Entwicklungen sich die Branche einstellen sollte und welchen Beitrag sie leisten kann, darüber haben wir mit Sebastian Lazay gesprochen. Der Präsident des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP) richtet sich mit starken Botschaften an die Branche.

arbeitsblog: Der Arbeitsmarkt erholt sich derzeit zwar noch von den Folgen der Pandemie, doch bereits jetzt ist klar: Die Fachkräfteengpässe werden in der Post-Corona-Zeit zu einer noch größeren Herausforderung werden. Welche Rolle wird aus Ihrer Sicht die Personaldienstleistung spielen? Welchen Beitrag kann sie leisten?

Sebastian Lazay: Eins steht fest: Der Fachkräftemangel wird in den kommenden Jahren neben der Digitalisierung und der Dekarbonisierung eines der zentralen Themen, wenn nicht sogar das Thema schlechthin sein, das den Arbeitsmarkt in Deutschland prägt. Laut aktuellen Zahlen des IW Köln fehlen bereits jetzt in Deutschland fast 400.000 Fachkräfte, 50.000 mehr als zu Beginn der Corona-Pandemie. Ein Ende dieses Mangels ist nicht absehbar, ganz im Gegenteil. Denn seit 2020 sinkt die Zahl der Menschen im typischen Berufsalter, also das sogenannte Erwerbspersonenpotential. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren sogar noch weiter verstärken, wenn die Generation der „Babyboomer“ zunehmend in Rente geht. Auch wir Personaldienstleister kämpfen bereits jetzt mit Personalengpässen. Daher müssen wir uns künftig noch stärker als attraktive Arbeitgeber positionieren und aktiv um Kandidaten werben – und stehen dabei in einem harten Wettbewerb um die besten Köpfe.

Ich möchte an alle Zeitarbeitsunternehmen appellieren: Handeln auch Sie bitte getreu dem Motto ‚Tue Gutes und rede darüber‘. Wir müssen uns mit all dem, was wir auf dem Arbeitsmarkt leisten, wahrlich nicht verstecken.

– Sebastian Lazay

Sebastian Lazay (© Steffen Jänicke | BAP)

Aber unsere Branche hat dabei ein Alleinstellungsmerkmal: Mittels Drehscheibenfunktion bringen wir begehrte Fachkräfte passgenau an die Stellen, an denen sie gerade besonders gebraucht werden. Denn die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort, das ist das Entscheidende und darin sind die Personaldienstleister stark! Dabei ist die Ausrichtung je nach Einsatzbranche durchaus unterschiedlich. In der IT werden beispielsweise Expertinnen und Experten oftmals in zeitlich begrenzten Projekten gebraucht. Hier könnten Personaldienstleister für eine optimale Verteilung der begrenzten personellen Ressourcen sorgen. Auch in Handwerksunternehmen, beispielsweise im Elektrohandwerk, in Tischlereien oder in Malerbetrieben, helfen Zeitarbeitsunternehmen bei der bestmöglichen Verteilung des knappen Personals und sichern somit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. In der Pflege ist die Rolle der Zeitarbeit wiederum eine völlig andere: Hier ist sie „Feuerwehr“ in der Krise und sorgt dafür, dass Stationen offengehalten werden können und die Versorgung kranker und pflegebedürftiger Personen gesichert ist. In der Pflege zeigt sich übrigens auch eine weitere wichtige Funktion der Zeitarbeit: Sie schafft es, Personalreserven zu heben und somit Beschäftigte an die Pflege zu binden, die sich ansonsten vollständig aus der Branche verabschiedet hätten.

Bei der Gewinnung von Fachkräften insgesamt wird, davon bin ich fest überzeugt, die örtliche und zeitliche Flexibilität eine viel stärkere Rolle als bisher spielen. Daraus ergibt sich eine große Chance für die Zeitarbeit. Sie wird künftig mehr denn je ihre attraktive Rolle als tarif- und arbeitsrechtlich abgesicherte Beschäftigungsform für jene Menschen ausspielen können, die einen Arbeitgeber und zugleich unterschiedliche und vielfältige Einsatzfelder suchen. Zeitarbeit ist deshalb schon eine Lösung für heute und morgen.

Mehr als jeder dritte Geflüchtete hat durch die Zeitarbeit den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten! Keine andere Branche hat auch nur annähernd so viele Flüchtlinge integriert. Wenn man dabei bedenkt, dass lediglich 2,1 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland Zeitarbeitskräfte sind, wird die Leistung unserer Branche umso deutlicher.

– Sebastian Lazay

arbeitsblog: Die Zeitarbeit hat in den vergangenen Jahren mit einem etwas „angeknacksten“ Image zu kämpfen. Dabei bietet sie für viele Menschen die Möglichkeiten auf einen (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt. Welche Chancen kann die Zeitarbeit hier bieten und wie kann es aus Ihrer Sicht gelingen, dass dies künftig auch von der breiten Öffentlichkeit besser wahrgenommen wird?

Sebastian Lazay: Grundsätzlich finde ich schon, dass es der Personaldienstleistungsbranche in den letzten Jahren gelungen ist, durch professionelle Arbeit ihr Image deutlich zu verbessern. Aber es ist in der Tat so, dass es immer noch Vorbehalte gegen die Zeitarbeit gibt. Insofern ist es ein dickes Brett, dass unsere Branche da zu bohren hat. Der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister ist da natürlich mit all seinen Initiativen vorn mit dabei. Aber ich möchte an dieser Stelle an alle Zeitarbeitsunternehmen appellieren: Handeln auch Sie bitte getreu dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“. Machen Sie Ihre Erfolgsgeschichten öffentlich, sei es in den sozialen Netzwerken, auf Ihren Unternehmenswebseiten oder im direkten Kontakt mit Pressevertretern, Kunden sowie Bewerberinnen und Bewerbern. Es gibt so viele Möglichkeiten, die Verdienste der Zeitarbeit in das richtige Licht zu rücken. Und wir müssen uns mit all dem, was wir auf dem Arbeitsmarkt leisten, wahrlich nicht verstecken.

Bestes Beispiel: Die Personaldienstleister sind für Geflüchtete, Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte der Integrationsdienstleister in den Arbeitsmarkt schlechthin. Denn sie erhalten hier eine Chance, die sie von anderen Branchen nicht erhalten. Um ein paar Zahlen zu nennen: Laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) lag der Anteil der Zeitarbeit an Beschäftigungsaufnahmen Geflüchteter insgesamt im Zeitraum Juli 2020 bis Juni 2021 bei 34,5 Prozent. Mehr als jeder dritte Geflüchtete hat also durch die Zeitarbeit den Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten! Keine andere Branche hat auch nur annähernd so viele Flüchtlinge integriert. Wenn man dabei bedenkt, dass lediglich 2,1 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland Zeitarbeitskräfte sind, wird die Leistung unserer Branche umso deutlicher.

Ähnlich große Bedeutung haben die Personaldienstleister auch beim Wiedereinstieg von Langzeitarbeitslosen ins Berufsleben. Kein anderer Wirtschaftszweig konnte mit über 32.000 Beschäftigungsaufnahmen und einem Anteil von 18,7% innerhalb eines Jahres (Oktober 2020 bis September 2021) so viele Langzeitarbeitslose in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bringen wie die Zeitarbeit. Besonders bemerkenswert: Inmitten der pandemiegetriebenen wirtschaftlichen Krisensituation stieg der Anteil der Personen, die ihre Langzeitarbeitslosigkeit mit Hilfe unserer Branche beenden konnten, noch einmal merklich an.

Dabei, und das ist mindestens genauso wichtig, bieten die Personaldienstleister nachhaltige Beschäftigungsperspektiven. Denn Menschen bleiben in der überwiegenden Mehrheit in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, wenn sie ihre Arbeitslosigkeit durch Zeitarbeit beenden konnten. So waren rund 75 Prozent der Menschen, die zuvor keine Arbeit hatten, nach einem Jahr weiterhin in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.

All das sind Fakten, die in der Öffentlichkeit oftmals noch gar nicht bekannt sind. Lassen Sie uns das gemeinsam ändern!

Dieses unsägliche „Stoppschild“, dass es ausgerechnet der Zeitarbeit als einziger Branche überhaupt in Deutschland weiterhin gesetzlich untersagt, Fachkräfte mit Berufsausbildung außerhalb der EU zu rekrutieren und einzusetzen, muss endlich beseitigt werden.

– Sebastian Lazay

arbeitsblog: Im Zusammenhang mit der anhaltendenden Nachfrage nach Arbeitskräften und dem Beitrag, den die Personaldienstleistung leisten kann, liegt es nahe, über Arbeitnehmerüberlassung von außerhalb des EWR zu sprechen. Wie wichtig eine solche Öffnung für die Branche?

Sebastian Lazay: So groß die Bemühungen aller politischen und gesellschaftlichen Kräfte zur Hebung des inländischen Arbeitskräftepotentials sind: Wir werden den aktuellen und künftigen Fachkräftebedarf ohne qualifizierte Zuwanderung, auch und gerade von außerhalb der EU, nicht ansatzweise abdecken können. Für die Personaldienstleister gibt es dabei nur nach wie vor ein großes Problem: Wir dürfen es nicht! Dieses unsägliche „Stoppschild“, dass es ausgerechnet der Zeitarbeit als einziger Branche überhaupt in Deutschland weiterhin gesetzlich untersagt, Fachkräfte mit Berufsausbildung außerhalb der EU zu rekrutieren und einzusetzen, muss endlich beseitigt werden. Das ist auch meine klare Erwartungshaltung an die Ampelkoalition, dass sie hier etwas bewegt, besser heute als morgen.

Die Personaldienstleister mit ihren internationalen Recruiting-Erfahrungen müssen endlich mit ins Boot genommen werden. Sie haben bereits seit vielen Jahren bewiesen, dass sie ein idealer Netzwerkpartner sind, um Menschen mit ausländischem Pass in den deutschen Arbeitsmarkt mit nachhaltigen Beschäftigungsperspektiven zu integrieren. Dies belegen die aktuellen Zahlen der BA eindrucksvoll. Während der Anteil der ausländischen Beschäftigten branchenübergreifend in Deutschland bei 13,5% liegt, beträgt ihr Anteil in der Zeitarbeit – von IT-Experten bis hin zu Hilfskräften mit Fluchthintergrund – bei insgesamt 40,3%! Unsere Branche könnte gerade kleine und mittelständische Unternehmen bei der Fachkräftegewinnung im Ausland unterstützen. Das gilt besonders für multinational agierende Personaldienstleister, die direkten Zugang zu ausländischen Fachkräften haben. Fest steht: Die Personaldienstleistungsbranche steht seit langem als kompetenter Partner bereit und muss nun die Möglichkeit erhalten, ihre Expertise auch hier einsetzen zu können.

Alles in allem bin ich davon überzeugt, dass 2022 für die Personaldienstleister erfolgreich werden kann. Denn gerade in volatilen Situationen setzt die Wirtschaft besonders häufig auf unsere Dienstleistungen. Was uns dabei bremsen kann, sind Personalengpässe. Doch auch da ist die Branche krisenerprobt und flexibel.

– Sebastian Lazay

arbeitsblog: Im BAP-Newsletter zum Jahreswechsel schreiben Sie, dass Sie „positive Signale beispielsweise in den Bereichen Fachkräftezuwanderung oder Entbürokratisierung“ vernehmen. Wie ist Ihre Einschätzung? Und was wird die Branche 2022 insgesamt bewegen?

Sebastian Lazay: Es gibt in der Tat mehrere Hinweise im Koalitionsvertrag, die mich positiv stimmen. Wirklich erfreulich ist zunächst die Anerkennung der Zeitarbeit als „notwendig“. Auf ein solches Bekenntnis zur Branche haben wir bei der Großen Koalition über viele Jahre vergeblich gewartet. Mehr als überfällig ist auch die Beseitigung des antiquierten Schriftformerfordernis. Da es im Koalitionsvertrag explizit als „Digitalisierungshemmnis“ genannt wird, sehe ich gute Chancen, dass sich etwas im Sinne unserer Branche bewegt. Bei der Kurzarbeit ist im Koalitionsvertrag davon die Rede, dass die Corona-Sonderregelungen evaluiert werden sollen. Hier könnte sich eventuell eine Chance ergeben, dass die Zeitarbeit dauerhaft eine Kurzarbeit-Regelung bekommt, auch wenn wir jetzt gerade bei der Verlängerung der KUG-Sonderregelungen nicht berücksichtigt worden sind.

Auch bei der Fachkräftezuwanderung sehe ich im Koalitionsvertrag positive Signale. Die Ampel-Koalition ist offenbar bereit, die gesetzlichen Regelungen zu lockern. Weshalb nicht auch die Zeitarbeit an der Fachkräftezuwanderung beteiligen? Eins steht fest: Bei allen genannten Punkten wird sich der BAP weiterhin intensiv für die Interessen der Branche einsetzen.

Wir alle gemeinsam hoffen nach zwei Jahren wirtschaftlicher Unsicherheit und pandemiebedingten Einschränkungen nicht nur auf ein baldiges Ende der Corona-Krise, sondern auch auf weitere Entspannungen bei den internationalen Lieferketten und einen Anstieg der Industrieproduktion im laufenden Jahr. Alles in allem bin ich davon überzeugt, dass 2022 für die Personaldienstleister erfolgreich werden kann. Denn gerade in volatilen Situationen setzt die Wirtschaft besonders häufig auf unsere Dienstleistungen. Was uns allerdings dabei bremsen kann, sind Personalengpässe. Doch auch da ist die Branche krisenerprobt und flexibel. War noch vor ein paar Jahren ein Lösungsweg für ein Problem ausreichend, sind heute oftmals viele kleine, verschiedene Maßnahmen notwendig, die erst in der Summe zum gewünschten Ziel führen. Daher müssen modernes, passgenaues Recruiting und die individuelle Arbeitgeberattraktivität in diesem Jahr mehr denn je auch in der Zeitarbeit in den Fokus rücken.

arbeitsblog: Vielen Dank für das Interview, Herr Lazay!

 

Sebastian Lazay

Sebastian Lazay ist seit 2017 Präsident des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP). Er ist Gesellschafter und Geschäftsführer der Extra Team GmbH mit Sitz in Hamburg. Lazay ist zudem seit 2013 Vizepräsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA) und Vorstandsmitglied in der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

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