Zeitarbeit in der Gastro: Wie geht es weiter?
- Thorsten Rensing, Geschäftsführer von STAFF RENT und SMARTCHILLI, ist überzeugt: Zeitarbeitsunternehmen, die auf Gastronomie spezialisiert sind, sollten mehr tun, als sich an Durchhalteparolen zu klammern. Denn: Corona habe für eine Disruption gesorgt, die die bisherigen Spielregeln außer Kraft setzt
- Stattdessen sollten Personaldienstleister in den ehrlichen Austausch mit ihren Gastro-Kunden gehen. Das schaffe Glaubwürdigkeit – und die sei die Grundlage dafür, dass Zeitarbeitsfirmen nicht mehr als Dienstleister, sondern als unersetzlicher Partner wahrgenommen werden
- Abschließend erklärt Thorsten Rensing, was Zeitarbeitsfirmen konkret tun können, um zum unersetzlichen Partner zu werden: „So abstrus es ist – wir können mittelbar vom Virus lernen. Denn Disruption offenbart immer den Punkt der Wertschöpfungskette, der Angreifern die größtmöglichen Chancen bietet. Diese offenen Flanken gilt es zu schließen.“
- Den ersten Teil des Beitrags, in dem Thorsten Rensing die aktuelle Lage der Gastronomie analysiert, finden Sie hier
Eine Tüte Chips für 8,50 Euro verlaufen – klingt das nach einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell? Klar doch, zumindest solange der Gast kostenlos einen Aperol Spritz dazu bekommt. Im Restaurant Wolkenlos am Timmendorfer Strand machen sie gerade genau das. Es gibt ab sofort nicht mehr Chips zu Aperol, sondern Aperol zu Chips. Die Protestaktion zeigt gleich zweierlei:
Erstens führt sie uns die abstrusen Regelungen der Politik vor Augen. Speisen sollen ab Juni 2020 mit einer Mehrwertsteuer von nur sieben Prozent belegt werden. An dem Mehrwertsteuersatz für Getränke ändert sich aber nichts, er bleibt bei 19 Prozent. Zweitens verdeutlicht die öffentlichkeitswirksame Maßnahme der Wolkenlosen auch, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Man muss nur danach suchen.
Fokus auf: Personaldienstleister, die im Gastro-Bereich aktiv sind/waren
Nachdem ich letzte Woche die aktuell mehr als verzwickte Situation der Gastronomen beleuchtet habe, richte ich heute den Blick auf Personaldienstleister, die im Gastro-Bereich aktiv sind – oder besser gesagt: vor Corona aktiv waren. Wie können sie sich in der momentanen Situation umgehen? Lohnt es sich überhaupt, nach Lösungen zu suchen?
Klar lohnt sich das! Und das sage ich als Chef von STAFF RENT, einer Zeitarbeitsfirma, die voll und ganz auf Gastronomie und Handel spezialisiert ist. Denn zum einen gehe ich lieber mit wehenden Fahnen unter als mich kampflos dem Schicksal zu fügen. Und zum anderen gilt der bekannte „Gegessen und getrunken wird immer“-Spruch auch in der Corona-Krise.
Können wir uns also zurücklehnen und allein auf die Maslowsche Bedürfnishierarchie vertrauen? Nein, das wäre naiv. Auch Durchhalteparolen wie „Wer überleben will, muss nicht schneller als der Bär laufen, sondern schneller als seine Mitläufer” oder §3 des Kölschen Grundgesetzes „Et hätt noch immer jot jejange” klingen erstmal gut, sind in der momentanen Lage aber gefährlich. Denn: Sie gelten nur, solange sich an den bisherigen Spielregeln nichts ändert.
Im Gastro-Bereich hat Corona die Spielregeln aber einmal auf links gedreht!
Menschen essen oder trinken aktuell kaum mehr außer Haus. Die vielen Auflagen machen den Markt eher unrentabel. Die Zukunft der Großveranstaltungen ist komplett ungewiss. Digitale Alternativen – zum Beispiel virtuelle Messen oder Ausstellungen – verändern den Markt dauerhaft. Preise werden von außen künstlich verändert. Gastronomen machen aus Getränken Speisen. Denken Sie an die 8,50-Euro-Chips mit Aperol Spritz.
Wenn also aktuell nicht mal mehr das Kölsche Grundgesetz greift, was ist dann zu tun? Die Antwort kennen wir – zumindest in der Theorie – schon sehr lange.
Disruption durch … Virus?!
Das, was gerade passiert, ist nicht neu - es nennt sich Disruption. Wikipedia erklärt das Phänomen so: „Disruption ist ein Prozess, bei dem ein gesamter Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst beziehungsweise ‚zerschlagen‘ wird. Eine disruptive Idee sorgt – übertragen auf die Unternehmenswelt – dafür, dass bestehende Strukturen und Organisationen aufgebrochen und bei Erfolg zerstört werden.” Ich habe die „Disruption durch digitalen Wandel“-Leier in den letzten Jahren so oft gehört, dass ich zuletzt fast gelangweilt davon war. Dass es aber eine „Disruption durch Virus“ geben könnte, kam mir, das gebe ich offen zu, nie in den Sinn.
Ich habe die „Disruption durch digitalen Wandel“-Leier in den letzten Jahren so oft gehört, dass ich zuletzt fast gelangweilt davon war. Dass es aber eine „Disruption durch Virus“ geben könnte, kam mir, das gebe ich offen zu, nie in den Sinn.
Unsicherheit akzeptieren – und ihr entgegentreten
Jetzt, wo Corona da ist und so schnell auch nicht wieder verschwindet, werden die Gastronomen und somit auch wir Zeitarbeitsfirmen wieder lernen müssen, mit einem Teil Unsicherheit zu leben. Diesem Gefühl gilt es nun im täglichen Tun eine gehörige Portion Sicherheit und Vertrauen entgegenzusetzen. Und worauf basieren Sicherheit und Vertrauen? Richtig, auf Transparenz und Verlässlichkeit.
Bedeutet: Wir Personaldienstleister müssen jetzt mit den Gastronomen reden. „Selbstzweifel sind ein Zeichen von Intelligenz und nicht in ein Zeichen von Dummheit, Feigheit oder Unangemessenheit“, sagt Marketing-Guru Guy Kawasaki. Unseren Auftraggebern können und sollten wir also von unserer momentanen Unsicherheit berichten. Das schafft Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit, die jeder verspielt, der die Krise herabstuft oder bagatellisiert.
Wissen Sie, was noch wichtiger ist als reden? Zuhören! Wir müssen den Gastronomen gut zuhören, um ihre Gedanken- und Gefühlswelten zu verstehen. Nicht als Beziehungsmanagement, nicht als Vertriebsmaßnahme. Sondern ganz einfach aus aufrichtigem Interesse an der Situation eines Partners, mit dem wir in einem Boot sitzen.
Vom Dienstleister zum Partner
In den Gesprächen muss das aufmerksame Ohr darauf gerichtet sein, welche Probleme Gastronom und Personaldienstleister zusammen lösen können. Wie können wir Zeitarbeitsfirmen vom Dienstleister zum Partner werden? Denn nur, wenn wir als solcher wahrgenommen werden, haben wir eine Zukunft.
Schon vor Corona stellte sich der Gastronom vor jeder Zusammenarbeit mit der Zeitarbeit aufs Neue die Frage: make or buy? Jedem Kundenunternehmen steht es frei, selbst einzustellen (make) oder auf Dienstleister zurückzugreifen (buy). Momentan wird die Antwort wohl noch häufiger ‚make‘ lauten – allein schon, weil Unternehmen, die Kurzarbeit nutzen, nur unter bestimmten Voraussetzungen mit der Zeitarbeit zusammenarbeiten dürfen. Je besser wir Personaldienstleister auf der unternehmerischen Ebene unseren Einsatz rechtfertigen und begründen können, umso sicherer sitzen wir im Sattel!
Was kann können Personaldienstleister konkret tun?
Stellt sich die Frage: Was können wir tun, um unersetzlicher Partner der Gastro zu sein? Wenn Sie Patentlösungen suchen, muss ich Sie enttäuschen. Aber es gibt ein Muster, nach dem Sie arbeiten können. So abstrus es ist – wir können Disruption mittelbar vom Virus lernen. Denn Disruption offenbart immer den Punkt der Wertschöpfungskette, der Angreifern die größtmöglichen Chancen bietet. Wie sind die offenen Flanken der Zeitarbeit? Und wie können wir sie schließen?
- Umsatz und Kosten: Wir Personaldienstleister müssen Umsatz machen, der Gastro-Betrieb muss Kosten sparen. Eine gesunde Balance zu finden, ist unglaublich schwer. Aber dringend notwendig, denn hier wittern Angreifer (zurecht) die größten Chancen. Um dem vorzubeugen, denken Sie doch gemeinsam mit Ihrem Kunden mal über Stellschrauben wie den Auszahlungszeitpunkt, Prämien oder Treueboni nach.
- Qualität und Flexibilität: Wer als Personaldienstleister beides bieten will, muss enorme Ressourcen aufbringen. Zeitleich erwartet Ihr Kunde (zurecht), dass Sie den Spagat meistern. Packen Gastro und Zeitarbeit die Herausforderung zusammen an – etwa über gemeinsame Schulungen, Akquisen oder Recruiting-Maßnahmen –, steigt die Wahrscheinlichkeit, sie zu meistern.
- Sicherheit und Volatilität: Gastronomen wünschen sich Sicherheit, werden in der Realität aber mit schwankenden Gästezahlen und somit auch schwankendem Personalbedarf konfrontiert. Seien Sie als Personaldienstleister Partner der Gastro – und arbeiten Sie gemeinsam an Planungsaktivitäten und Dispositionen.
- Synergien: Ja, das Wort wird inflationär gebraucht. Und ja, ich mag es auch nicht. Denken Sie trotzdem drüber nach. Welche Probleme können Gastro und Zeitarbeit besser zusammen lösen? Warum nicht gemeinsam eine Zeiterfassung einführen, statt Zeiten getrennt voneinander erfassen? Beide haben so weniger Arbeit und werden zu Partnern. Anderes Gedankenspiel: Müssen alle Unternehmen wirklich immer die persönliche Schutzausrüstung oder Berufsbekleidung vorhalten? Oder macht eine Einkaufsgemeinschaft Sinn?
Fazit
Viele der genannten Ansätze lassen sich jetzt noch nicht angehen. Dafür ist die Lage aktuell zu unsicher. Aber genau diese Zeit sollten Sie nutzen, um sich fortzubilden, um sich mit dem neuen, unbekannten Terrain vertraut zu machen. Wenn Sie sich selbst neu erfinden, dann werden Sie auch Ihre Unternehmen neu erfinden und sich nicht den neuen Regeln des Marktes unterwerfen müssen. Sondern sie an der Speerspitze mitbestimmen!
Den ersten Teil des Beitrags, in dem Thorsten Rensing die aktuelle Lage der Gastronomie analysiert, finden Sie hier.
Wer sich weiter mit dem Thema Disruption beschäftigen will, dem empfiehlt Thorsten Rensing das Buch „Disrupt yourself. Vom Abenteuer sich in der digitalen Welt neu erfinden zu müssen.“ von Christopher Keese.
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