„Wir können eine viel stärkere Rolle einnehmen, als es heute der Fall ist.“
- Die Initiative „Zeitarbeit. Gut für die Wirtschaft.“ des Gesamtverbands der Personaldienstleister (GVP) setzt sich für bessere politische Rahmenbedingungen der Zeitarbeitsbranche ein.
- Vor der Bundestagswahl will der GVP damit auf die Bedeutung der Zeitarbeit für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt hinweisen – und fordert unter anderem weniger Bürokratie, eine Öffnung der Fachkräfteeinwanderung und den Abbau regulatorischer Einschränkungen.
- Im Interview mit dem Arbeitsblog spricht GVP-Präsident Christian Baumann über die Hintergründe der Initiative, wirtschaftliche und gesellschaftliche Chancen sowie die Zukunft der Zeitarbeitsbranche.
arbeitsblog: Hallo Christian, die GVP-Initiative „Zeitarbeit. Gut für die Wirtschaft.“ zielt darauf ab, zentrale politische Forderungen der Zeitarbeitsbranche vor der Bundestagswahl in den Fokus zu rücken. Was sind die wichtigsten Potenziale, die freigesetzt werden könnten, wenn die Politik auf eure Vorschläge eingeht?
Christian Baumann: Unsere Aktion verfolgt ein klares Ziel: Wir wollen sicherstellen, dass unsere Branche die deutsche Wirtschaft bei zentralen Herausforderungen bestmöglich unterstützen kann – insbesondere bei Transformationsthemen wie der Bewältigung des demografischen Wandels und den zunehmenden Flexibilitätsanforderungen am Arbeitsmarkt.
Die Betriebe in Deutschland stehen derzeit vor großen Herausforderungen, weil sie mit mehreren Megatrends gleichzeitig konfrontiert sind und oft keine Antworten darauf haben. Dazu gehört der demografische Wandel, der zu massiven Arbeitskräfteengpässen führt. Hier kann die Zeitarbeit einen wichtigen Beitrag leisten. Ein weiterer zentraler Punkt ist das Thema Flexibilität – besonders in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Unternehmen brauchen Möglichkeiten, sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, doch genau diese Flexibilität wird durch umfangreiche gesetzliche Regulierungen eingeschränkt. Durch immer weiter zunehmende Bürokratie ist die Personalarbeit so aufwendig, dass sie Unternehmen regelrecht die Luft zum Atmen nimmt. Unsere Initiative setzt sich dafür ein, diese Einschränkungen zurückzunehmen, um der Personaldienstleistung wieder mehr Handlungsspielraum zu geben, indem unsere Arbeit zugunsten der Wirtschaft und des Arbeitsmarkts entfesselt wird. Wir wissen aus Erfahrung: Weniger bürokratische Hürden bedeuten eine höhere Agilität für Unternehmen – und damit einen erheblichen wirtschaftlichen Mehrwert.
Unsere Branche hat eine Kernkompetenz: Personalbeschaffung. Wir sind darauf spezialisiert, genau die Arbeitskräfte zu finden, die in Deutschland benötigt werden.
arbeitsblog: Ein wichtiger Punkt eurer Forderungen betrifft die Fachkräfteeinwanderung. Welche Vorteile hätte es aus deiner Sicht, wenn Zeitarbeitsunternehmen mehr Spielraum für internationale Rekrutierung bekämen?
Christian Baumann: Das Thema einer gesteuerten Fachkräfteeinwanderung ist insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland entscheidend. Wir müssen der Gesamtsituation ins Auge blicken: In Deutschland gibt es ein klares Missverhältnis zwischen Arbeitskräftebedarf und Zuwanderung. Studien zeigen, dass wir jährlich mehr qualifizierte Zuwanderung bräuchten, als derzeit möglich ist – doch es gibt keine einheitliche Strategie, wie mit diesem Defizit umgegangen werden soll. Das ist dramatisch. Wenn wir hier keine Lösungen finden, verspielen wir nicht nur die wirtschaftliche Zukunft des Landes, sondern auch die soziale Absicherung kommender Generationen.
Doch warum sollte ausgerechnet die Zeitarbeit eine Lösung für dieses Problem sein? Das ist ganz einfach. Unsere Branche hat eine Kernkompetenz: Personalbeschaffung. Wir sind darauf spezialisiert, genau die Arbeitskräfte zu finden, die in Deutschland benötigt werden. Dabei nutzen wir bereits heute weltweite Rekrutierungsinstrumente, dürfen aber nur innerhalb der EU agieren. Denn die direkte Beschäftigung von Drittstaatlern ist der Zeitarbeit weitestgehend verboten. Und das ist paradox, weil genau dort die größten ungenutzten Potenziale liegen! Wir könnten kleine und mittelständische Unternehmen gezielt mit Fachkräften versorgen – denn diese haben weder die Zeit noch das Know-how, um beispielsweise in Indien oder Malaysia selbst Personal zu rekrutieren. Wie soll sich beispielsweise ein Handwerksbetrieb aus Deutschland in Indien oder Malaysia um Arbeitskräfte bemühen? Soll ein mittelständischer Unternehmer nach Mumbai fliegen, um dort Personal anzuwerben? Das ist schlicht unrealistisch.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt, den viele unterschätzen: Deutschland ist im internationalen Wettbewerbsvergleich für Arbeitnehmende recht unattraktiv. Andere Länder sind wesentlich aktiver darin, Arbeitskräfte anzuwerben, und sie bieten oft bessere Rahmenbedingungen. Das ist die Realität. Von allein kommt niemand – wir müssen aktiv rekrutieren. Und wenn wir als Personaldienstleister diesen Prozess nicht professionell begleiten dürfen, verschenken wir enorme Chancen.
Diese starren Grenzen sind völlig weltfremd. Sie entsprechen nicht den Bedürfnissen der Wirtschaft und müssen reformiert werden.
arbeitsblog: Ein weiteres Kernthema der Initiative ist die Flexibilität am Arbeitsmarkt. Welche Rolle kann Zeitarbeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt spielen?
Christian Baumann: Wir stehen vor einem fundamentalen Wandel in der Wirtschaft. Globale Machtverschiebungen, geopolitische Unsicherheiten und technologische Entwicklungen verändern die Spielregeln für Unternehmen in Deutschland grundlegend. Für die Betriebe sinkt einerseits die Planungssicherheit. Andererseits wächst der Druck, sich schnell an wechselnde Marktbedingungen anzupassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. In dieser Situation ist es entscheidend, flexibel agieren zu können – sowohl beim Aufbau neuer Geschäftsfelder als auch bei der Anpassung von Personalstrukturen. Doch genau hier erleben wir eine wachsende Diskrepanz: Während die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mehr Agilität erfordern, schränkt die Politik die Flexibilität des Arbeitsmarktes immer weiter ein.
Zeitarbeit kann entscheidend dazu beitragen, Unternehmen die notwendige Anpassungsfähigkeit zu ermöglichen. Sie hilft Betrieben, auf schwankende Auftragslagen, saisonale Effekte und wirtschaftliche Unsicherheiten zu reagieren – und sorgt gleichzeitig dafür, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schneller in Beschäftigung kommen und ihre Qualifikationen in unterschiedlichen Projekten weiterentwickeln können. Genau diese Flexibilität wird zunehmend eingeschränkt, vor allem durch regulatorische Hürden wie die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten. Diese Vorschrift verkennt die Realität vieler Wirtschaftsbereiche, in denen langfristige Projekte eben nicht nach eineinhalb Jahren abgeschlossen sind. Denken wir an Infrastrukturmaßnahmen, Automobilentwicklungen oder IT-Großprojekte – all diese Vorhaben lassen sich nicht in 18 Monaten abwickeln.
Ein sehr anschauliches Beispiel ist der Netzausbau für erneuerbare Energien in Deutschland. Die großen Stromtrassen, die von den Küstenregionen in den Süden verlegt werden, haben Bauzeiten, die weit über 18 Monate hinausgehen. In der Realität bedeutet die aktuelle Regelung, dass hochspezialisierte Arbeitskräfte, die für diese Projekte gewonnen wurden, nach Ablauf der Frist nicht weiter in ihrer Position bleiben können. Stattdessen müssen sie das Unternehmen verlassen, obwohl sie für den weiteren Projektverlauf dringend benötigt werden. Das führt zu erheblichen Problemen: Unternehmen müssen entweder völlig neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einarbeiten, was zeit- und kostenintensiv ist, oder sie können Projekte nur mit massiven Verzögerungen abschließen. Diese starren Grenzen sind völlig weltfremd. Sie entsprechen nicht den Bedürfnissen der Wirtschaft und müssen reformiert werden.
arbeitsblog: Welche Konsequenzen hätte das für die Zeitarbeitsbranche und die deutsche Wirtschaft, wenn die Politik eure Forderungen nicht aufgreift?
Christian Baumann: Die Folgen sind längst sichtbar und die Entwicklungen der letzten Jahre sind alarmierend. Seit 2019 befindet sich die Zeitarbeitsbranche strukturell im Rückgang – ein direkter Effekt gesetzlicher Regulierungen wie der Begrenzung der Höchstüberlassungsdauer und der Equal-Pay-Regelungen. Jährlich verlieren wir Arbeitskräfte, die eigentlich in der Branche tätig sein könnten. Das bedeutet: Der Flexibilitätspuffer für Unternehmen wird immer kleiner.
Wenn sich dieser Trend fortsetzt, stehen wir vor einer gefährlichen Entwicklung: Dann haben Unternehmen zwei Optionen: Sie müssen entweder versuchen, ihre Personalbedarfe intern zu steuern, was hochgradig ineffizient ist, weil viele Betriebe gar nicht die Kompetenz haben, flexible Beschäftigung selbst zu managen. Oder sie werden gezwungen, Produktions- und Dienstleistungsbereiche ins Ausland zu verlagern, weil es dort einfacher ist, Personal flexibel einzusetzen. Noch kritischer ist: Es gibt bereits Umgehungstatbestände, die dafür sorgen, dass Unternehmen sich von der deutschen Gesetzgebung entkoppeln. Wir beobachten, dass vermehrt Personaldienstleistungen aus dem Ausland heraus in Deutschland erbracht werden – ohne dass sie dem deutschen Arbeitsrecht unterliegen. Das ist brandgefährlich und wird einen nicht unerheblichen Kollateralschaden produzieren. Um das zu verhindern, brauchen wir eine starke Personaldienstleistungsbranche mit fairen und flexiblen Rahmenbedingungen.
arbeitsblog: Wie wurde die Initiative bisher aufgenommen? Gibt es erste Reaktionen aus Politik und Wirtschaft?
Christian Baumann: Die Resonanz ist bemerkenswert. Innerhalb der Branche wird die Aktion äußerst positiv aufgenommen. Viele Unternehmen haben sich bereits aktiv beteiligt, etwa durch das Teilen unserer Inhalte in sozialen Netzwerken oder durch eigene Statements, die unsere politischen Forderungen unterstützen. Es gab tausende Reaktionen auf die Postings, was mich sehr freut und auch zeigt, dass wir damit den Nerv der Branche voll getroffen haben. In zwei Online-Veranstaltungen haben wir den Personaldienstleistern kürzlich zudem konkrete Tipps gegeben, wie auch sie sich optimal in die Initiative einbringen können.
Besonders bemerkenswert ist zudem, dass unsere Argumente in der politischen Debatte aufgegriffen wurden. Wir haben bereits erste Gespräche mit politischen Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik geführt, die unsere Forderungen unterstützen. Wir erreichen zwar noch nicht die breite Öffentlichkeit, da das Thema dafür etwas zu „nischig“ ist. Doch wir hoffen, dass die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger irgendwann Beschlüsse fassen, die nicht ideologisch, sondern rational begründet sind – und unseren Argumenten folgen.
arbeitsblog: Gibt es bereits weitere Pläne, die Initiative zu verstärken, nach der Bundestagswahl weiterzuführen und die Forderungen in die politische Debatte einzubringen?
Christian Baumann: Ursprünglich war die Initiative als punktuelle Aktion zur Bundestagswahl geplant. Wir wollten das politische Momentum nutzen, um unsere Anliegen gezielt in die Debatte einzubringen. Doch ehrlich gesagt: Wir selbst sind überrascht, wie stark die Resonanz ist. Die hohe Beteiligung aus der Branche selbst zeigt uns, dass wir mit der Initiative ins Schwarze getroffen haben. Besonders spannend ist zu sehen, dass viele Unternehmerinnen und Unternehmen, die sonst nicht unbedingt in die öffentliche Debatte gehen, sich nun aktiv zu Wort melden. Unsere Initiative ist ja eine Mitmach-Aktion – das heißt, jede und jeder kann unsere Forderungen nutzen, eigene Videos drehen, Statements formulieren und das Thema weiterverbreiten. Und genau das passiert. Die Leute sind bereit, sich öffentlich für die Belange der Zeitarbeit starkzumachen. Das ist ein großer Erfolg, den wir so nicht unbedingt erwartet hatten.
Was die Zukunft betrifft: Wir wollen die Initiative strategisch weiterdenken. Allerdings ist es uns wichtig, dass sie gezielt und anlassbezogen bleibt. Denn Aktionen, die „dauerhaft laufen“, verlieren oft an Wirkung, weil sich das Publikum irgendwann daran gewöhnt. Deshalb überlegen wir, künftig immer wieder punktuell aktiv zu werden – zu bestimmten Anlässen, politischen Debatten oder wirtschaftlichen Entwicklungen. Unser Fokus bleibt dabei klar: Wir wollen keine beliebige Dauerinitiative, sondern gezielte Impulse setzen, die echte Wirkung erzielen.
arbeitsblog: Zum Abschluss: Welche Vision hast du für die Zukunft der Zeitarbeitsbranche?
Christian Baumann: Die Personaldienstleistungsbranche kann eine Schlüsselrolle in der modernen Arbeitswelt spielen. Wir verstehen uns als Bindeglied, als ein Mediator zwischen Unternehmen und Arbeitskräften – und wir können eine viel stärkere Rolle einnehmen, als es heute der Fall ist. Ich bin überzeugt, dass Zeitarbeit langfristig mehr als nur eine Vermittlungsfunktion haben wird: Sie wird komplette HR-Prozesse übernehmen und Unternehmen strategisch in ihrer Personalplanung unterstützen.
Dafür müssen wir uns als Branche weiterentwickeln. Doch ich bin mir sicher: Wenn wir diesen Weg gemeinsam gehen, kann das im internationalen Vergleich ein starkes USP der deutschen Wirtschaft sein, wenn sie über eine starke, hochinnovative und energiegeladene Personaldienstleistung verfügt.
arbeitsblog: Vielen Dank für das Gespräch!