Weiterbildungen sind Investitionen in das eigene Geschäftsmodell
- Von Qualifizierungen profitieren Mitarbeitende wie Unternehmen gleichermaßen. Oftmals reichen schon kleine Maßnahmen, um Arbeitnehmende umzuschulen und zügig wieder in ein Unternehmen einzugliedern. Aber auch abschlussorientierte Weiterbildungen sind möglich – und werden zudem finanziell gefördert.
- Gemeinsam mit der Agentur für Arbeit Nürnberg und der Stiftung flexible Arbeitswelt hat der Personaldienstleister add-on die „Qualifizierungsoffensive Personaldienstleister 2022“ ins Leben gerufen, einen kooperativen Verbund vieler Akteure vor Ort.
- Marc Schüpferling, Gründungsmitglied und Leiter der Unternehmensentwicklung sowie Helmut Stangl, Leiter Kooperation und Kommunikation, erläutern im Interview, wie sie damit Problemen wie dem Fachkräftemangel entgegensteuern wollen.
- Die Zeitarbeit sehen sie als Schnittstelle zwischen den Akteuren – und sind der Meinung, dass die Branche genau diese Stärke ausspielen sollte.
arbeitsblog: „Die Qualifizierungsoffensive Personaldienstleister 2022“ ist im Februar 2022 gestartet – können Sie uns etwas mehr darüber erzählen?
Marc Schüpferling: Wir hatten uns im November vergangenen Jahres mit der Agentur für Arbeit Nürnberg ausgetauscht und kamen zu dem Schluss: Wir müssen einen Piloten starten, um das Thema Qualifizierung in die Breite der Personaldienstleistung zu bekommen. Wir sind überzeugt, als Branche eine wichtige Rolle spielen zu können, denn wir stehen als Dienstleister in der Mitte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden, wir kennen die Anforderungen und entsprechenden Qualifikationsbedarfe. Darum haben wir im Februar die Qualifizierungsoffensive für Nürnberg gestartet, um gemeinsam im Verbund mit allen interessierten Marktteilnehmern mehr zu erreichen.
arbeitsblog: Qualifizierungen können sicherlich dabei helfen, den herrschenden Fachkräftemangel zu bekämpfen. In welchen Branchen werden Ihrer Erfahrung nach die meisten Arbeitskräfte gesucht? Sind es nach wie vor die „Klassiker“ (IT-Branche, Pflege, Handwerk) oder haben sich in den vergangenen Jahren weitere Entwicklungen bemerkbar gemacht?
Helmut Stangl: Um es ganz klar zu sagen: Der Begriff „Fachkräftemangel“ und die Reduktion auf die üblichen Verdächtigen trifft die Dimension des Problems schon lange nicht mehr. Der Mangel an Arbeitskräften zieht sich quer durch alle Branchen und Qualifikationsebenen. Das sollte eigentlich nicht überraschen: Die Demografie hat uns ja ziemlich genau prognostiziert, dass dem Markt Kräfte fehlen werden.
Bereits jetzt sehen wir unglaublich viele Vakanzen auf allen Ebenen. Aber je höher die gefragten Qualifikationen, desto schwieriger sind die Stellen zu besetzen. Woran es mangelt, sind nicht unbedingt immer Berufs- und Studienabschlüsse, sondern oftmals spezifische Qualifikationen wie die Bedienung bestimmter Maschinen. Da würden mitunter schon gezielte Schulungen ausreichen.
arbeitsblog: Können Sie uns dazu ein konkretes Beispiel nennen?
Marc Schüpferling: Mitarbeitende, die bereits Helfererfahrung oder eine einfachere technische Ausbildung haben, beispielsweise als Maschinen- und Anlagenführer*in, könnten für Kunden interessanter werden, die sich Kenntnisse über speicherprogrammierbare Steuerung wünschen. So etwas können wir über eine Anpassungsqualifizierung nachschulen – und schon funktioniert es prima mit dem Kundeneinsatz. Manchmal sind es eben nur kleine Updates, die ein Mitarbeitender braucht. Letzten Endes kann man durch die Addition vieler kleiner Schritte, von der kleineren Schulung über die umfangreichere Teilqualifizierung bis hin zur Externenprüfung der Kammer, große Ziele erreichen. Idealerweise mit dem langfristigen Anspruch, eine vollwertige Fachkraft mit anerkanntem Berufsabschluss zu werden.
arbeitsblog: Gewinnt die Flexibilisierung unseres Qualifizierungssystems vor diesem Hintergrund generell an Bedeutung?
Helmut Stangl: Definitiv. Wir sind große Freunde der Berufsausbildung, aber im Leben gilt es oft, auf bedeutende Veränderungen zu reagieren. Und vielleicht möchte ich als 50-jähriger arbeitssuchender Drucker nicht mehr eine dreijährige Ausbildung zum Mechatroniker machen. Allerdings gibt es bestimmte Elemente, die mich in diesem Beruf in Verbindung mit meiner vorhandenen Ausbildung weiterbringen würden. Zum Beispiel kann ich eine bestimmte Technik lernen, die mir den Anschluss am Arbeitsmarkt ermöglicht.
Genau hier sind wir als Personaldienstleister besonders gefragt. Wir sind exakt an der Schnittstelle zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt und erhalten entsprechend viele Live-Informationen aus der Wirtschaft, welche Kenntnisse branchen- und unternehmensübergreifend gefragt sind. Dieses Wissen einzusetzen und Arbeitskräften passende Qualifizierungen anzubieten, bringt mehrere Vorteile mit sich: Mitarbeitende erhalten Feedback, wie sie besser eingestuft werden können. Unternehmen erhalten qualifiziertes Personal, das sie sonst nicht gefunden hätten. Und Personaldienstleister profitieren, wenn sie die Mitarbeitenden höherqualifiziert bei Kunden einsetzen. Außerdem ist es natürlich für die Gesellschaft unglaublich wichtig, dass offene Arbeitsstellen besetzt werden und Menschen eine gute Arbeit finden.
Mit dem Verbund wollen wir das Thema Qualifizierung in die Breite der Personaldienstleistung bringen. Gemeinsam können wir mehr erreichen!
arbeitsblog: Welche Entwicklung für die Zukunft wünschen Sie sich, wenn es um den Wert geht, den Qualifizierungsmaßnahmen generell in der Personaldienstleistungsbranche haben?
Marc Schüpferling: Als Personaldienstleister haben wir schon immer Wert auf einsatzbezogene Weiterbildung gelegt. Das Dilemma in der Arbeitsüberlassung ist, dass ein Mitarbeitender, den man beispielsweise ein halbes Jahr schult, zunächst aus der direkten Wertschöpfung herausbricht, was eigentlich dem eigenen Geschäftsmodell widerspricht. Allerdings findet langsam ein Umdenken statt, das wir begrüßen: mehr Investitionen in Human Resources zu packen und in die Arbeitskräfte zu investieren, von denen wir leben. Hierfür gibt es übrigens auch öffentliche Fördermittel!
arbeitsblog: Personaldienstleister und deren Unternehmenskunden erkennen also zunehmend, dass alle vom lebenslangen Lernen profitieren. Wie sieht es auf der anderen Seite aus? Wie groß ist der Anteil der Arbeitskräfte, die sich für eine Weiterbildung entscheiden?
Helmut Stangl: Es sind mittlerweile einige – es könnten aber noch viel mehr sein. Bessere Ergebnisse würde man erzielen, wenn man die Beratung gezielt steuert. Viele Arbeitssuchende erkennen das Thema Bildung nicht als ihres. Es liegt auch an uns Personaldienstleistern, ihnen zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt und welche – auch kurzen – Qualifizierungsmaßnahmen ihnen Chancen bieten. Wir sind da gefragt, ob wir Mitarbeitende direkt in die nächste Überlassung vermitteln oder ob wir uns als agile HR-Dienstleister beweisen und zeigen: Wir unterstützen die Menschen auf einem nachhaltigen Karriereweg. Dieses Investment zahlt sich aus im Wettbewerb um die besten Mitarbeitenden.
arbeitsblog: Wie viel höher stehen aktuell die Chancen, durch eine Weiterbildungsmaßnahme bei einem Unternehmen fest übernommen zu werden?
Marc Schüpferling: Das hängt natürlich von vielen Faktoren ab. Die Chance, übernommen zu werden, ist immer hoch, wenn man Zuverlässigkeit, Engagement und Teamfähigkeit zeigt. Jeder, der eine Zeit lang einen guten Job macht, sendet an den Arbeitgeber die Botschaft: Hey, den könnten wir doch mal übernehmen. Qualifizierungen erhöhen die Chancen noch. Je spezialisierter man ist und je weniger Fachkräfte diese Fähigkeiten besitzen, desto höher ist für Unternehmen der Reiz, jemanden an sich zu binden.
arbeitsblog: In welchen Branchen bieten sich Qualifizierungen aktuell besonders an?
Marc Schüpferling: In unserem regionalen Qualifizierungsverbund liegt der Fokus zunächst unter anderem auf den Bereichen Automatisierung und Logistik – diese Themen sind ganz heiße Eisen. Dazu gehören etwa die Mechatroniker*innen, Elektroniker*innen Betriebstechnik und Berufskraftfahrer*innen. Aus dem kaufmännischen Bereich kommen Servicekräfte Dialogmarketing hinzu.
Helmut Stangl: Hier sollte man noch ergänzen, dass die Umstellung auf 12 Euro Mindestlohn die Mobilität im Arbeitsmarkt weiter erhöhen, viele einfachere Tätigkeiten substituieren oder andere automatisieren wird. Daraus wird sich definitiv Nachqualifizierungsbedarf ergeben. Generell ändert sich im Augenblick viel durch gesellschaftliche und wirtschaftliche Bewegungen. „Industrie 4.0“ ist ja schon seit einiger Zeit ein Stichwort.
arbeitsblog: Wie sehr hat die Coronakrise in den vergangenen zwei Jahren die Weiterbildungsmöglichkeiten eingeschränkt?
Marc Schüpferling: Das Thema Weiterbildung ist ein sehr persönliches. Üblicherweise unterhalten sich zwei Menschen über den nächsten sinnvollen Schritt. Ich bin überzeugt, dass das am besten gelingt, wenn man sich „Face to Face“ gegenübersitzt. Da hat sich durch die Coronapandemie einiges aufgestaut, das jetzt freigesetzt wird. Und das ist gut so.
arbeitsblog: Mit welchen Partnern arbeiten Sie in Sachen Weiterbildungsmaßnahmen zusammen?
Marc Schüpferling: Da sind wir breit aufgestellt. Zu unseren Partnern gehören die Bundesagentur für Arbeit, Jobcenter, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Innungen, Bildungsträger, Weiterbildungsinitiatoren oder die Stiftung flexible Arbeitswelt. Auch mit dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) kooperieren wir. Wir werden also bundesweit wahrgenommen und bleiben weiter offen für alle Akteure.
Helmut Stangl: Es gilt der Netzwerkgedanke. Kein Personaldienstleister oder Bildungsträger kann die extreme Diversität des Arbeitsmarktes alleine abdecken.
arbeitsblog: Und die Bedingungen werden immer komplexer. Steigt etwa die Anzahl ausländischer Arbeitnehmender aktuell durch den Krieg in der Ukraine stark an?
Helmut Stangl: Auch abseits von solchen „Spotlight-Ereignissen“ gab es immer eine stetige Migration in den Arbeitsmarkt. In den vergangenen Jahren sind Millionen Menschen nach Deutschland gekommen – viele von ihnen mit guten Qualifikationen, aber oft schlicht anders ausgebildet, als wir es kennen. Diese Kenntnisse so umzuschlüsseln, dass sie auf unseren Arbeitsmarkt „matchen“, ist ein anspruchsvoller Prozess. Ein wichtiger Meilenstein war hier das Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse, das nun zehn Jahre alt geworden ist. Aber Anerkennung alleine reicht nicht. Erst in der Kombination mit guter Beratung und zielgerichteter Weiterbildung können Menschen, die hier schon sehr lange als Helfer*innen arbeiten, einen Fachkraftbrief erlangen. Das ist wirklich wertschöpfend.
Der Krieg in der Ukraine ist zuvorderst eine humanitäre Frage. Sollte er sich auch zu einer Arbeitsmarktfrage entwickeln, sind Mittel und Wege da, um Menschen aus der Ukraine bestmöglich zu integrieren. Seit der letzten größeren Fluchtbewegung haben Institutionen sowie Unternehmen Prozesse und Know-how aufgebaut, um an dieser Stelle noch besser zu sein.
Wir sollten den aktuellen Wandel im Arbeitsmarkt als Chance betrachten, um etwas zu tun, das Werte schafft!
arbeitsblog: Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell und in Zukunft, wenn es darum geht, die Fachkräfteengpässe durch Einwanderung und gezielte Förderung ausländischer Arbeitskräfte (u.a. Geflüchteter) in den Arbeitsmarkt zu bekämpfen?
Helmut Stangl: Das eben erwähnte Thema Anerkennung ausländischer Abschlüsse bleibt sehr zentral. Bürokratie und starre Abläufe in Ausländerbehörden stellen aber weiterhin wirkliche Hürden dar. Dass die Rekrutierung aus Drittstaaten stark eingeschränkt ist, hilft auch nicht weiter. Wir sind jetzt in einer Dekade des Fachkräftemangels, nicht der Massenarbeitslosigkeit. Die Regulierungen auf dem Arbeitsmarkt atmen aber oft noch den Geist der 90er-Jahre. Was man dabei nicht übersehen darf: In Deutschland arbeiten sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund. Ohne sie würde der Laden zusammenbrechen. So hätte etwa die Baubranche massive Probleme, um nur ein Beispiel zu nennen. Wir müssen die Wertschätzung stärken und die Menschen auch finanziell spüren lassen, wie wichtig sie sind.
arbeitsblog: Wie sollte die Personaldienstleistungsbranche also die nächsten Jahre angehen?
Marc Schüpferling: Die Schnittstellen der Personaldienstleister zu allen Akteuren sind eine ganz große Chance. Wir können spezifische Anfragen kompetent verarbeiten uns mit den Menschen auseinandersetzen, um sie in möglichst gute Positionen zu bekommen. Wir sollten diesen Vorteil nutzen und etwas daraus machen. Darauf sollten wir uns neben dem Tagesgeschäft fokussieren. Es braucht noch mehr Aus- und Weiterbildung sowie ein offenes Mindset in unserer Branche. Das Gute ist: Die Werkzeuge, mit denen wir das erreichen können, sind alle da.
Helmut Stangl: Den aktuellen Wandel im Arbeitsmarkt sollten wir als Chance betrachten, nicht nur auf das Wirtschaftliche zu schauen, sondern etwas zu tun, das wirklich Werte schafft!
arbeitsblog: Vielen Dank für das spannende Interview!
Marc Schüpferling
nennt seit beinahe 20 Jahren die Personalwelt sein Zuhause und leitet heute als Mitglied der Geschäftsleitung den Bereich Unternehmensentwicklung der add-on Gruppe. Der leidenschaftliche Netzwerker ist einer der Köpfe hinter der kooperativen „Qualifizierungsoffensive Personaldienstleister“ in der Metropolregion Nürnberg.
Helmut Stangl
Kommunikation ist sein Beruf, der Arbeitsmarkt seine Expertise, die Fachkräftesicherung seine Leidenschaft. Der Politologe und ausgebildete Journalist sorgt als Leiter Kommunikation & Kooperation bei der add-on Gruppe dafür, dass gute Ideen und Initiativen rund um Personaldienstleistung & Qualifizierung die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen.
Mehr über die Qualifizierungsoffensive Personaldienstleister 2022 erfahren Sie auf der Website der Stiftung flexible Arbeitswelt.