Vom EuGH-Urteil bis zur Prüfpraxis der BA: Aktuelle Rechtsthemen im Überblick
- Kaum eine andere Branche ist so streng reguliert wie die Zeitarbeit. Aktuell blicken Personaldienstleisterinnen und -dienstleister gespannt nach Luxemburg: Wie wird der Europäische Gerichtshof in Sachen Equal Pay entscheiden? Und wie wird das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung umsetzen?
- Darüber hinaus beschäftigen weitere Themen die Personaldienstleistungsbranche – von der Prüfpraxis der BA bis hin zur herausfordernden Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie.
- All diese Aspekte werden im Rahmen des 10. Potsdamer Rechtsforums zur Zeitarbeit am 27. September 2022 diskutiert. Wir haben vorab mit Dr. Martin Dreyer, stellvertretendem Hauptgeschäftsführer des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ), über die aktuellen Themen gesprochen.
arbeitsblog: Dr. Dreyer, für die Personaldienstleistung wird es in den kommenden Monaten noch spannend – einige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) stehen noch aus. Zuletzt hat sich der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zum Thema Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz geäußert. Wird sich der EuGH dem anschließen? Wie ist Ihre Einschätzung: Worauf sollte sich die Branche einstellen?
Dr. Martin Dreyer: Der EuGH sollte sich den Schlussanträgen des Generalanwalts besser nicht anschließen. Denn sie weisen grundlegende inhaltliche Mängel auf. Im Kern hat der Generalanwalt übersehen, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im Zusammenspiel mit den Zeitarbeitstarifverträgen ein erhebliches Schutzniveau sicherstellt. Die Anforderungen der „Achtung des Gesamtschutzes“ werden dadurch unseres Erachtens deutlich erfüllt. Selbst wenn der EuGH die Auffassung des Generalanwalts übernehmen sollte, wäre es spannend zu sehen, was das Bundesarbeitsgericht (BAG) daraus macht. Kurz: Die Messe ist hier noch nicht gelesen.
arbeitsblog: Ein weiteres Thema, das die Branche in den vergangenen Monaten beschäftigt hat, ist die Prüfpraxis der Bundesagentur für Arbeit (BA). Im Zusammenhang mit dem Entzug der AÜ-Erlaubnis wird auch häufiger vom „Zero-Tolerance-Verhalten“ der BA gesprochen. Werden wir es künftig noch häufiger erleben, dass Auseinandersetzungen zwischen der Behörde und Personaldienstleistern vor Gericht landen?
Dr. Martin Dreyer: Die Zeitarbeit gehört zu den am stärksten kontrollierten Branchen. Grundsätzlich haben wir nichts zu verbergen und haben deshalb auch nichts gegen eine Kontrolle. Allerdings gilt es wie überall, Maß und Mitte zu halten: Kleinere, nicht vorsätzliche Verstöße, vielleicht auch programmtechnisch bedingt, können nicht zu drakonischen Strafen führen. Ich wünsche mir keine Zunahme von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Zeitarbeitsunternehmen, sondern einen vernünftigen, pragmatischen und respektvollen Umgang miteinander.
Der EuGH sollte sich den Schlussanträgen des Generalanwalts besser nicht anschließen. Denn sie weisen grundlegende inhaltliche Mängel auf.
arbeitsblog: Ein weiteres aktuelles Thema sind die Änderungen der Arbeitsbedingungenrichtlinie, die sich insbesondere auf das Nachweisgesetz auswirken. Hier wurde bereits häufiger kritisiert, dass dies ein Schritt zurück ist – unter anderem im Hinblick auf die Digitalisierung. Wie ist Ihre Einschätzung – behindern die neuen Regelungen die Branche? Immerhin geht es gerade bei kurzfristigen Einsätzen darum, alles möglichst schnell „unter Dach und Fach“ zu bekommen …
Dr. Martin Dreyer: Die Umsetzung des Nachweisgesetzes beschäftigt unsere Mitglieder zurzeit sehr. Wir haben dafür geworben, wenigstens die digitale Form, besser noch die Textform für den Nachweis im Arbeitsvertrag zuzulassen. Aber der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt. So haben wir in der Tat ein Formerfordernis, das viel Zeit, Kraft und Papier verbraucht. Das ist umso ärgerlicher, wenn man bedenkt, dass die dem Gesetz zugrunde liegende Arbeitsbedingungenrichtlinie digitale Nachweise ermöglicht hätte. Der deutsche Gesetzgeber übererfüllt in diesem Punkt also die europarechtlichen Vorgaben.
arbeitsblog: Vor dem Hintergrund der aktuell geltenden und womöglich noch kommenden Regulierungen der Arbeitnehmerüberlassung: Stellt Personalvermittlung hier eine attraktive Alternative dar? Und gibt es hier rechtliche Besonderheiten, die (etwa bei der Vertragsgestaltung) berücksichtigt werden müssen?
Dr. Martin Dreyer: Personalvermittlung ist ein klassischer Teil des Portfolios vieler Personaldienstleister und damit auch integraler Bestandteil der Personaldienstleistung. Es liegt meines Erachtens eher an der Situation am Arbeitsmarkt, der ein ausgesprochener Arbeitnehmermarkt ist, dass sowohl der Kandidat als auch der Auftraggeber eine Direktvermittlung vorziehen. Ansonsten sehe ich keinen Anlass und keine Ankündigung, auch nicht im Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung, die Zeitarbeit weiter zu regulieren. Es gebe eher, auch aus den bereits erwähnten Gründen der Digitalisierung, Anlass, die veraltete und sachlich nicht gerechtfertigte Schriftform für Arbeitnehmerüberlassung durch die Textform zu ersetzen.
Rechtlich anspruchsvoll ist insbesondere die Vermittlungsprovision nach vorheriger Überlassung. Dazu existiert mittlerweile eine sehr differenzierte, sich ständig weiterentwickelnde Rechtsprechung, die es immer anspruchsvoller macht, eine rechtskonforme Musterformulierung zu entwickeln.
Ich würde mir eher wünschen, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer weniger Zeit für Paragrafen und mehr Zeit für die Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Demographie und Dekarbonisierung aufbringen könnten.
arbeitsblog: Gibt es jenseits der angesprochenen Themen weitere Entwicklungen und rechtliche Aspekte, die Personaldienstleister berücksichtigen müssen, um sich zukunftsorientiert aufzustellen?
Dr. Martin Dreyer: Ich würde mir eher wünschen, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer weniger Zeit für Paragrafen und mehr Zeit für die Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Demographie und Dekarbonisierung aufbringen könnten. Die Rekrutierung ist im Hinblick auf die erwähnten Verhältnisse am Arbeitsmarkt eine Herkulesaufgabe, und es ist nicht ersichtlich, dass sie in den nächsten Jahren leichter wird.
arbeitsblog: All diese Themen werden im Rahmen des Potsdamer Rechtsforums zur Zeitarbeit diskutiert, richtig? Können Sie uns etwas mehr über das Format erzählen? Aus welchem Anlass ist es entstanden, welche Erfolge hat es in den vergangenen Jahren verzeichnet – und worauf dürfen sich Besucherinnen und Besucher dieses Jahr freuen?
Dr. Martin Dreyer: Die Zeitarbeitsbranche hat seit jeher in erheblichem Umfang mit rechtlichen Themen zu tun, die auf besondere, exklusiv für die Zeitarbeit geltende gesetzliche Grundlagen zurückzuführen sind. Das Potsdamer Rechtsforum ist 2010 vor diesem Hintergrund entstanden, um die rechtlichen Themen praxisnah und verständlich zu vermitteln und zu diskutieren. Wir freuen uns über ein großes Interesse, das – die Corona-Besonderheiten ausgeklammert – nicht selten dazu geführt hat, dass unser Saal ausgebucht war. Auch dieses Jahr haben wir alle aktuellen Themen der Branche auf der Agenda. Zusätzlich laden wir erstmals zu parallel stattfindenden Foren ein, in denen man in kleineren Runden noch besser in einen Austausch kommen kann. Wir freuen uns am 27. September auf ein erkenntnisreiches 10. Potsdamer Rechtsforum zur Zeitarbeit und auf viele Gäste!
Dr. Martin Dreyer
Dr. Martin Dreyer ist promovierter Jurist und seit 2004 beim iGZ tätig. Seit 2009 ist er stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Er verantwortet in der Geschäftsführung neben internen Bereichen die Fachbereiche Bildung und Recht und begleitet die Tarifverhandlungen des iGZ. Martin Dreyer vertritt den Verband außerdem in der Vertreterversammlung der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG).