Update zum Beschluss des BAG: Handlungspflicht zur Arbeitszeiterfassung

  • Im September 2022 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine wegweisende Entscheidung getroffen und Unternehmen in Deutschland zur Erfassung aller Arbeitszeiten verpflichtet.
  • Die zunächst veröffentlichte Pressemitteilung war jedoch noch sehr allgemein gehalten und ließ zahlreiche Fragen rund um die Umsetzung offen. Für Arbeitgeber bedeutete dies: Die Begründung des BAG abwarten – in der Hoffnung, dass diese für Klarheit sorgt.
  • Nun ist es soweit: Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Gericht die lange erwarteten Gründe des Beschlusses. Was bedeutet das für Unternehmen? Welche konkreten Handlungspflichten sich für Arbeitgeber ableiten lassen, darauf geht Dr. Alexander Bissels, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei CMS Hasche Sigle, ein.

Seit Kurzem liegen die Gründe der viel beachteten Entscheidung des BAG vom 13. September 2022 vor. Diese bringen in zahlreichen Punkten Klarheit – und dennoch bleibt einiges weiterhin offen. Was gilt?

Welche Zeiten müssen erfasst werden?

Arbeitgeber sind verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden der Arbeitnehmer erfasst werden. Es besteht insofern eine objektive gesetzliche Handlungspflicht. Diese leitet das BAG aus der Rahmenvorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ab, die besagt, dass Arbeitgeber für eine geeignete Organisation zur Sicherstellung des Arbeitsschutzes zu sorgen haben.

Keine Aussage hat das BAG dazu getroffen, ob Ruhepausen konkret zu erfassen sind oder ob diese auch pauschal in Abzug gebracht werden können. Hier wird man konsequenterweise davon ausgehen müssen, dass Ruhepausen ebenfalls konkret erfasst werden müssen. Nur so kann eine verlässliche Aussage über den tatsächlichen Umfang der Arbeitszeit getroffen werden. Dies bedeutet zugleich, dass ein pauschaler Abzug von Ruhepausen wohl leider nicht möglich sein dürfte.

Für welche Mitarbeitenden müssen die Zeiten erfasst werden?

§ 3 ArbSchG gilt zwar auch für (echte) leitende Angestellte. Diese dürften nach den Feststellungen des BAG indes von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht erfasst werden. Denn das Unionsrecht erlaubt jedenfalls dort, wo der Gesetzgeber Arbeitnehmer berechtigterweise von der Geltung des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen hat, auch einen Verzicht auf die Dokumentationspflicht. Deshalb gilt dies derzeit leider nur für leitende Angestellte, nicht auch für Arbeitnehmer, die in Vertrauensarbeitszeit beschäftigt werden. Hierzu wäre eine Anpassung von § 18 ArbZG notwendig.

Wie müssen die Arbeitszeiten erfasst werden?

Die Zeiterfassung muss nach den Feststellungen des BAG nicht zwingend in elektronischer Form erfolgen. Hier besteht ein Gestaltungsspielraum für den Arbeitgeber. Möglich ist daher auch eine rein analoge Zeiterfassung durch „pen and paper“. Das BAG hat im Übrigen klargestellt, dass die Erfassung der Arbeitszeit auch auf die Arbeitnehmer delegiert werden kann.

Sofern die Dauer der Arbeitszeit derzeit noch nicht dokumentiert wird, sollten Arbeitgeber sich spätestens jetzt Gedanken dazu machen, wie sie die Erfassung künftig bewirken wollen.

– Dr. Alexander Bissels

Dr. Alexander Bissels

Ab wann müssen die Arbeitszeiten erfasst werden?

Die gesetzliche Verpflichtung besteht ab sofort bzw. bestand nach der Argumentation des BAG bereits in der Vergangenheit.

Hat der Betriebsrecht das Recht auf Beteiligung?

Ein Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung ergibt sich nach den Feststellungen des BAG aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG („Wie“ der Arbeitszeiterfassung). Sofern ein elektronisches Zeiterfassungssystem eingeführt werden soll, ist § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG einschlägig.

Was gilt bei Verstößen gegen die Zeiterfassungspflicht?

Sofern die Arbeitszeit aktuell noch nicht erfasst wird, stellt dies zumindest (noch) keine Ordnungswidrigkeit dar. Nach § 25 ArbSchG handelt ordnungswidrig, wer gegen eine vollziehbare Anordnung der zuständigen Behörde zuwiderhandelt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es bei Anlässen zu entsprechenden Anordnungen kommen wird. Zudem dürfte (zeitnah!?) eine gesetzliche Regelung zur Arbeitszeiterfassung zu erwarten sein. Gegebenenfalls wird diese mit besonderen Bußgeldvorschriften verknüpft.

Was bedeutet dies für die Vertrauensarbeitszeit?

Eine freie Einteilung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmer bleibt unter Berücksichtigung der arbeitszeitrechtlichen Vorgaben weiterhin möglich. Allerdings muss ab sofort die tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden.

Was ist nun zu tun?

Die Erfassung der Arbeitszeit ist nach den Feststellungen des BAG eine gesetzliche Handlungspflicht. Sofern die Dauer der Arbeitszeit derzeit noch nicht dokumentiert wird, sollten Arbeitgeber sich spätestens jetzt Gedanken dazu machen, wie sie die Erfassung künftig bewirken wollen. Hier bestehen Gestaltungsspielräume. Auch wenn die Nichtbeachtung dieser Vorgaben aktuell noch nicht bußgeldbewehrt ist: Es ist davon auszugehen, dass die zuständigen Behörden bzw. der Gesetzgeber sehr bald aktiv werden. Darüber hinaus kann der Betriebsrat von seinem Initiativrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG Gebrauch machen und zumindest das „Wie“ der Erfassung der Arbeitszeit über eine Einigungsstelle zum Gesundheitsschutz durchsetzen.

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