Unruhige Wochen für die Zeitarbeit: Tarifverhandlungen und EuGH-Urteil stehen bevor

  • Spannung in der Zeitarbeit statt besinnlicher Vorweihnachtszeit: Am 14. Dezember folgt die zweite Tarifrunde zwischen BAP und iGZ sowie den DGB-Gewerkschaften.
  • Direkt am nächsten Tag geht es dann weiter: Der EuGH hat für den 15. Dezember eine wichtige Entscheidung angesetzt. Es geht darum, ob das deutsche System der Gleichstellung durch Tarifvertrag mit EU-Recht zu vereinbaren ist.
  • Was bringt das neue Jahr für die Personaldienstleistungsbranche? Lesen Sie die Einschätzung von Edgar Schröder!

Für die Zeitarbeitsbranche wird es wenige Tage vor Heiligabend äußerst spannend!

Am 14. Dezember 2022 soll in Berlin die Tarifverhandlung zur Erhöhung der Entgeltgruppen 3 bis 9 für die Laufzeit bis 31.03.2024 zwischen der Verhandlungsgemeinschaft Zeitarbeit, bestehend aus den beiden Verbänden BAP und iGZ, und der DGB-Tarifgemeinschaft fortgesetzt werden. Die erste Verhandlung wurde am 24.11.2022 ergebnislos abgebrochen.

Überlagert wird diese richtungsweisende Tarifrunde allerdings von der zum 15.12.2022 terminierten Urteilsverkündung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH), ob das deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) den „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ im Sinne der EU-Richtlinie 2008/104/EG hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausreichend berücksichtigt.

Grundlage ist das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 16.12.2020 anlässlich der Equal Pay Klage der Zeitarbeitnehmerin „CM“ gegen TimePartner Personalmanagement GmbH.

Der zugrundeliegende Sachverhalt in Kurzfassung

Die Zeitarbeitnehmerin, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), wurde von April 2016 bis April 2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags von dem beklagten Personaldienstleister an ein Unternehmen des Einzelhandels für dessen Auslieferungslager als Kommissioniererin überlassen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt ein Stundenentgelt nach dem iGZ-DGB-Tarifvertrag von 9,23 Euro brutto. Nach einem Tarifvertrag für Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern (Deutschland) wurde seinerzeit von dem entleihenden Kundenunternehmen den vergleichbaren stammbeschäftigten Arbeitnehmern ein Stundenlohn von 13,64 Euro brutto gezahlt. Die Zeitarbeitnehmerin forderte die Zahlung von 1.296,72 Euro als Ersatz für die Equal-Pay-Differenz mit der Begründung, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (§ 8 AÜG) und die darauf basierenden Tarifnormen des iGZ-DGB-Tarifwerks gegen Art. 5 der EU-Richtlinie 2008/104 verstießen.

Die Berichterstattung in den Medien wird möglicherweise diese sensible und komplexe Materie unscharf reflektieren, sodass emotional ein „Flächenbrand“ an imaginären Equal-Pay-Forderungen ausgelöst werden könnte.

– Edgar Schröder

Edgar Schröder

Abweichung? Ja, doch nur bei angemessenem Ausgleich

Der Generalanwalt am EuGH gibt in seinen Schlussanträgen vom 14.07.2022 nur formal grünes Licht für die Tariföffnungsklausel im AÜG, um von dem Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. dem Equal Pay zeitlich begrenzt abweichen zu können. Tarifverträge können für die Zeitarbeitnehmer niedrigere Löhne als für die Stammbeschäftigten in den Einsatzbetrieben regeln, aber nur, wenn es angemessene Vorteile in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gebe. Diese Vorteile müssten die Tarifverträge als Ausgleich gewähren, sodass insgesamt der unionsrechtlich geforderte Gesamtschutz von Zeitarbeitnehmern geachtet werde. Der Generalanwalt geht davon aus, dass ein geringeres Entgelt nicht durch Werbegeschenkartikel ausgeglichen werden könne. Außerdem könne beispielsweise ein zusätzlicher Urlaubstag ein geringeres Jahresarbeitsentgelt von 50 Prozent nicht adäquat ersetzen, weil es unverhältnismäßig sei.

Konkretes Gerichtsurteil schon im ersten Halbjahr 2023?

Der EuGH wird also unter Beachtung der Schlussanträge des Generalanwalts Anthony Collins entscheiden und ggf. durch eine nachvollziehbare Definition der Begrifflichkeit „Achtung des Gesamtschutzes“ konkrete Auslegungshilfen für das BAG schaffen. Auf dieser Grundlage könnte dann der 5. Senat des BAG voraussichtlich zeitnah im ersten Halbjahr 2023 die Vorgaben der EuGH-Richter im konkreten Einzelfall umsetzen. Diese BAG-Entscheidung gilt es abzuwarten.

Wir sollten uns auf unruhige Wochen und Monate mit emotionalen Irrungen und Wirrungen einstellen, geschürt unter anderem durch unzutreffende Vergleiche mit der CGZP-Vergangenheit.

– Edgar Schröder

Auf welche Szenarien sollte sich die Zeitarbeit einstellen?

Ich persönlich schließe flächendeckende Nachforderungen seitens der Deutschen Rentenversicherung (DRV) – anders als bei der historischen „CGZP“-Entscheidung des BAG vor knapp 12 Jahren am 14. Dezember 2010 – aus, da der EuGH weder § 8 AÜG noch die Zeitarbeitstarifverträge pauschal / per se für unwirksam deklarieren wird. Nach meiner vorsichtigen Einschätzung wird es auf die konkrete Reflexion eines jeden Einzelfalls hinauslaufen.

Die Berichterstattung in den Medien wird möglicherweise diese sensible und komplexe Materie unscharf reflektieren, sodass emotional ein „Flächenbrand“ an imaginären Equal-Pay-Forderungen ausgelöst werden könnte.

Wir sollten uns auf unruhige Wochen und Monate mit emotionalen Irrungen und Wirrungen einstellen, geschürt unter anderem durch unzutreffende Vergleiche mit der CGZP-Vergangenheit.

Anlässlich der vielen Fragen von Kunden und Mitarbeitern, die zukünftig auf die Personaldienstleister niederprasseln werden, bin ich auf dieses Zitat des Dipl.-Ing. Hartmut Laufer, Autor diverser Managementbücher, gestoßen: „Eine akute Bedrohung kann aktivieren, permanente Verunsicherung jedoch lähmt.“

 

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