Schlaglichter auf die Zeitarbeit
- Zeitarbeit bei der Kripo? Das kann doch nicht sein! Meldungen über den geplanten Einsatz von Zeitarbeitskräften bei der Hamburger Polizei sorgten zuletzt für hitzige Debatten – und sogar für Spott und Häme im Netz.
- Ähnlich sieht es in anderen Bereichen aus, etwa in der Pflege. Hier fordern viele sogar ein Verbot der Zeitarbeit.
- Edgar Schröder hat kein Verständnis für derartige Diskussionen – zumal sie teilweise von fragwürdigen Zahlen befeuert werden, wie ein aktuelles Beispiel zeigt. Im heutigen Beitrag geht der Berater der Zeitarbeit darauf ein, warum Zeitarbeit ein Symptom, aber nicht die Ursache für Missstände etwa in der Pflege ist.
Die Zeitarbeitnehmer*innen leisteten im zurückliegenden Kalenderjahr rund 1,5 Milliarden Arbeitsstunden. Davon waren 0,7 Prozent bezahlte und 0,7 Prozent unbezahlte Überstunden. Insgesamt leisteten die Beschäftigten in Deutschland ca. 59 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr 2021. Davon waren 0,8 Prozent unbezahlte und 0,5 Prozent bezahlte Überstunden. Diese Kennzahlen liefert das Statistische Bundesamt basierend auf Ergebnissen des Mikrozensus. Die umfangreichen Ergebnisse hat die Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE „Arbeitszeit und Überstunden in Deutschland“ im August 2022 veröffentlicht.
Die Aussagekraft dieser Zahlen ist mit Vorsicht zu genießen.. Äußerst fragwürdig ist insbesondere das vorliegende Zahlenmaterial bzgl. der unbezahlten Überstunden. Die ausgewiesenen 0,7 Prozent sind gleichzusetzen mit 11.266.000 Zeitstunden, die angeblich nicht vergütet wurden. Aufgrund der hohen Tarifbindung sowie der strikten Tarifanwendung seitens der Personaldienstleister halte ich diese gigantische Zahl für keineswegs belastbar! Es drängt sich dem Betrachter die Frage auf, wie das Statistische Bundesamt auf Grundlage des durchgeführten Mikrozensus diese astronomische Gesamtzahl hochrechnen konnte.
Für mediale Aufmerksamkeit sorgte zuletzt Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer mit seinem Konzept, Zeitarbeitnehmer*innen bei der Kriminalpolizei einzusetzen. Sie sollen dabei keinesfalls Ermittlungsarbeiten übernehmen, sondern sich nur um Verwaltungsarbeiten kümmern. In sogenannten „Crash-Teams“ sollen die externen Arbeitnehmer*innen bei „tausenden einfachen Vorgängen“ helfen, um die Beamten bei Ermittlungsarbeiten zu unterstützen. Das Konzept beinhaltet u.a. die Schulung der Zeitarbeitnehmer*innen in der Polizeiakademie. Das Pilotprojekt sei Teil einer Gesamtstrategie, um den Beruf von Kripobeamten möglichst attraktiver werden zu lassen.
Für mich ist es unverständlich, dass der Polizeipräsident so viel unsachliche Kritik und Spott mit seiner Idee erntet. Doch wirklich überraschend sind die Reaktionen leider nicht. Schließlich kennen wir die Diskussionen nur zu gut aus anderen Bereichen. Seit einigen Jahren werden hitzige Debatten über die *Leiharbeit* in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geführt. Unrühmlicher Höhepunkt war Anfang 2020 die Bundesratsinitiative der seinerzeitigen Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalacy (SPD) mit dem Ziel, die Leiharbeit in der Pflege durch Gesetz verbieten zu lassen.
In Berlin rumort es weiterhin vehement. Im August 2022 richtete die Berliner Krankenhausgesellschaft die Veranstaltung „Zeitarbeit in der Pflege“ aus. Auszugsweise Wiedergabe des Statements von Marc Schreiner, dem Geschäftsführer der BKG:
„[…] Mit der steigenden Zeitarbeit gehen auch negative Effekte für Krankenhäuser und schließlich auch Patienten/-innen einher. Für eine hochqualitative Versorgung benötigen die Einrichtungen verlässliche, gut eingearbeitete und aufeinander abgestimmte Teams. Häufiger personeller Wechsel und mangelnde Kenntnisse der Abläufe vor Ort können dazu führen, dass Qualitätsstandards nicht eingehalten werden können und so die Patientensicherheit beeinträchtigt wird. Zudem resultieren aus dem hohen Einsatz von Zeitarbeit Mehrarbeit für das Stammpersonal und Unsicherheiten für die Attraktivität einer Festanstellung. Daher ist es aus Sicht der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen richtig und wichtig, in der Pflege weitestgehend auf Zeitarbeit zu verzichten.“
Das vollständige Statement kann der Pressemitteilung der BKG entnommen werden.
Und auch in Bayern werden immer wieder Politikerstimmen gegen die Zeitarbeit laut. Beispielsweise sprach sich Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) in der ersten Oktoberwoche anlässlich des Europäischen Gesundheitskongresses in München für Sanktionen gegen die Zeitarbeit in der Pflege aus.
Dabei hat sich in der Praxis bereits vielfach herauskristallisiert, dass Zeitarbeit in der Pflege eine Entlastung bedeuten kann – für Einrichtungen, vor allem aber auch für Mitarbeiter*innen. Das zeigen zum einen empirische Erfahrungswerte der Personaldienstleister. Zum anderen bestätigt es auch die Forschung. Bei der BKG-Veranstaltung „Zeitarbeit in der Pflege“ hielt unter anderem Lutz Schumacher einen Vortrag. Darin untermauerte der Professor für Personalmanagement und Organisationsentwicklung in Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin: Viele Stammbeschäftigte aus den Krankenhäusern wechseln in die *Leiharbeit*, weil sie dort erleben, was ihnen in der Arbeit als *Festangestellte* fehlt: eine verlässliche Dienst- und Einsatzplanung, kein „Holen aus dem Frei“, bessere Vergütungen, keine Nacht-, Wochenend- oder Feiertagsdienste, familienfreundliche Teilzeitarbeit.
Die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des iGZ, Andrea Resigkeit, bringt es in ihrem Statement treffend auf den Punkt: „Zeitarbeit ist nicht die Ursache, sondern Symptom, weil sie deutlich bessere Arbeitsbedingungen bietet als viele Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.“
Dass die rot-grün-rote Koalition des Landes Berlin überlegt, gesetzliche Maßnahmen zur Eindämmung der Zeitarbeit in der Pflege zu initiieren, verfolge ich mit ernster Sorge.
Dazu BAP-Präsident Sebastian Lazay:
„Zeitarbeit in der Pflege ist ein Randphänomen. Daher ist es nicht nachvollziehbar, weswegen immer wieder Forderungen aus der Politik für eine Einschränkung der Zeitarbeit in der Pflege laut werden, obwohl Pflegekräfte überall händeringend gebraucht werden. […]“
Das komplette Statement wurde auf der BAP-Website veröffentlicht.
Anlässlich dieser heftigen Debatten bin ich auf den pointierten Aphorismus des Schriftstellers Hermann Hesse gestoßen: „Gegner bedürfen einander oft mehr als Freunde, denn ohne Wind gehen keine Mühlen.“