Qualität vor Quantität: Personalvermittlung lässt sich nicht „nebenbei“ betreiben
- Die Personalvermittlung ist bereits heute ein wichtiger Bestandteil moderner Personaldienstleistungen – und wird in Zukunft voraussichtlich einen noch größeren Anteil erhalten. Von Einkauf und Logistik über IT und Telekommunikation bis hin zu naturwissenschaftlichen Berufen: Immer mehr Fachkräfte würden Vermittlung bei ihrer nächsten Jobsuche in Anspruch nehmen.
- Das zeigt die aktuelle Studie des Verbandsbereichs Personalvermittlung (VBPV) des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP) „Barometer Personalvermittlung 2021 – Wachstumspotenziale für ein modernes Recruiting“
- Für die zweite Auflage der Recruiting-Studie wurden 1.000 Kandidatinnen und Kandidaten, 531 Kundenunternehmen sowie 295 Personalvermittler befragt. Die Ergebnisse geben einen aufschlussreichen Einblick in die Erwartungen und Erfahrungen aller Beteiligten. Daraus lassen sich zudem praxisnahe Handlungsempfehlungen für Personaldienstleister ableiten.
- Welche Entwicklungen stehen Branchenvertretern bevor? Wie können sie Kandidatinnen und Kandidaten sowie Kundenunternehmen für sich gewinnen? Und warum ist Personalvermittlung nichts, was Zeitarbeitsunternehmen „nebenbei“ betreiben können? Wir haben mit Heinz Ostermann, Vorsitzender des Verbandsbereichs Personalvermittlung beim BAP und Mitglied des Executive Committee sowie Prokurist bei I. K. Hofmann, gesprochen.
arbeitsblog: Seit einiger Zeit fällt der Begriff „Personalvermittlung“ immer häufiger im Zusammenhang mit Personaldienstleistungen. Ist das die Zukunft der Branche? Wie wird sich die Vermittlung und deren Bedeutung in Zukunft entwickeln?
Heinz Ostermann: Personaldienstleistung umfasst neben der Zeitarbeit – die nicht zuletzt auch aus politischen Gründen heraus häufig im Vordergrund steht – auch Personalvermittlung. Laut Statistischem Bundesamt hat sich der Umsatzanteil aus der Personalvermittlung am Gesamtumsatz von Personaldienstleistern in den letzten Jahren signifikant erhöht: Während der Umsatzanteil der Personalvermittlung im Jahr 2013 noch bei vier Prozent lag, erhöhte sich dieser im Jahr 2019 auf 16,4 Prozent. Dieser Wert zeigt, dass viele Personaldienstleister verstärkt auf Vermittlung setzen und sich dieser Trend weiter fortsetzt. Eines ist ganz klar: Der Markt der Arbeitnehmerüberlassung verändert sich. In Zukunft wird sich die Personalvermittlung meines Erachtens einen attraktiven Platz erobern.
arbeitsblog: Was müssen Personaldienstleister dabei beachten?
Heinz Ostermann: Der ein oder andere Branchenvertreter ist der Meinung: Wer Zeitarbeit betreibt, kann auch Personalvermittlung anbieten. Beide Geschäftsfelder sind allerdings gleich und doch nicht gleich. Bei beiden geht es zwar gleichermaßen um eines – um die passgenaue Besetzung einer Stelle. Das verleitet viele Personaldienstleister dazu, die Vermittlung „nebenbei“ zu betreiben, quasi als ein zweites Standbein.
Die Sache ist die: In der Personalvermittlung nutzt man ganz andere Kanäle und eine andere Ansprache – das zeigt auch unser Barometer Personalvermittlung. Viele Kandidaten entscheiden sich für einen Vermittler anhand von Empfehlungen, um nur ein Beispiel zu nennen. Bei beiden Formen muss man Kandidaten ansprechen, das stimmt. Allerdings macht das „Wie“ einen großen Unterschied aus. Daher: gleich und doch nicht gleich.
arbeitsblog: Immer mehr qualifizierte Fachkräfte würden Vermittlung in Anspruch nehmen – vor allem in den Bereichen Einkauf & Materialwirtschaft, IT & Telekommunikation, Consulting, aber auch in naturwissenschaftlichen Berufen. Wie können sich Personalvermittler erfolgreich in diesen Feldern etablieren, wenn sie bislang nur in anderen Fachbereichen tätig waren? Und zahlt sich der Aufwand aus, sich in neue Themengebiete einzuarbeiten?
Heinz Ostermann: Hier muss man zwischen zwei Fällen unterscheiden. Geht es darum, sich von einem reinen Zeitarbeitsunternehmen zum Personaldienstleister zu entwickeln und dabei weiterhin die Branchen zu bedienen, in denen ich aktuell auch tätig bin?
Sehen wir uns diesen Transformationsprozess einmal im Detail an: Wenn ich aktuell noch keinen oder wenig Umsatz mit Personalvermittlung erzeuge, dann würde ich als Erstes meine aktiven Kunden ansprechen, für die ich bereits Zeitarbeit anbiete. Denn oft haben sie auch Stellen zur Direkteinstellung, finden aber nicht die richtigen Kandidaten. Hier habe ich mehrere Vorteile: Zum einen kennt mich der Kunde bereits gut. Zum anderen kenne ich die Branche, in der ich schon länger tätig bin, sehr gut. Da habe ich ganz andere Möglichkeiten, die Fachkräfte zu finden, zu denen ein KMU einfach nicht den Zugang hat. Denn in der Regel nutzt er die Direktansprache-Tools wie Xing TalentManager oder LinkedIn Recruiter nicht so, wie wir Personaldienstleister sie verwenden.
Oder geht es darum, etwa auf die Vermittlung von IT-Fachkräften zu setzen, nur weil die IT gerade „chic“ ist? Das würde ich nicht tun, wenn ich noch nie etwas mit dieser Branche zu tun hatte. Man darf nicht vergessen, in der Personalvermittlung definiere ich mich über die passgenaue Rekrutierung – darüber, dass der oder die Vermittelte zum Unternehmen passt, an der neuen Arbeitsstelle glücklich ist und eine gute Aufgabe gefunden hat. Genau deswegen ist es noch viel wichtiger, passgenau zu rekrutieren. Und hierfür sind Kenntnisse der Branche unverzichtbar.
Es gibt viele Unternehmen, die wir als den „unbekannten Mittelstand“ zusammenfassen können: wirtschaftlich top erfolgreich, aber mit einem Employer Branding gegen Null. Sie sind es, die dringend Personal brauchen.
arbeitsblog: Passgenaue Vermittlung bedeutet Qualität statt Quantität. Gleichzeitig geben Unternehmen aber an, dass für sie auch geringe Recruiting-Kosten eine wichtige Rolle spielen. Wie lässt sich beides – zeitintensive Auseinandersetzung mit den individuellen Bedürfnissen von Bewerbern und Unternehmen und kosteneffiziente Vermittlung – unter einen Hut bringen?
Heinz Ostermann: Klar könnte man etwa KI einsetzen, um die Kosten zu senken. Um die Qualität hochzuhalten, wird allerdings immer eine emotionale Intelligenz benötigt, die eben nur der Mensch hat. Damit meine ich die natürliche Intelligenz zu beurteilen, ob der- bzw. diejenige ins Team passt, das ich als Vermittler kennengelernt habe. Welche KI kennt schon die sozialen Anforderungen vor Ort? Und wenn ein Kundenunternehmen nicht bereit ist, für die Direkteinstellung auch ein entsprechendes Honorar zu bezahlen, ist entweder der Bedarf nicht groß genug – oder der Kostendruck ist so groß, dass es wirklich nicht geht. Aber das ist wiederum ein Thema, welches beim Kundenunternehmen liegt.
Letztendlich ist die Personalvermittlung ein ganz wichtiger Bestandteil der Personalrekrutierung von außerhalb. Und sind wir ehrlich: Wer außer den großen Konzernen ist in der Lage, Stellenanzeigen zu schalten und direkt die passenden Bewerbungen zu erhalten?
Ich behaupte mal, wenn Porsche eine leere Stellenanzeige schaltet – ganz ohne Inhalte oder Beschreibung –, bewerben sich trotzdem jede Menge Interessierte. Wenn aber Firma X aus der Kleinstadt Y eine Stelle ausschreibt, ist das etwas anderes. Es kann sogar sein, dass die Firma ein führendes Unternehmen auf einem bestimmten Gebiet ist und eine Top-Adresse. Aber wenn eine junge Ingenieurin oder ein Techniker die Wahl haben zwischen Firma X aus Y und Porsche in Stuttgart, wo werden sie sich wohl eher bewerben?
Was ich damit sagen will: Es gibt viele Unternehmen, die wir als den „unbekannten Mittelstand“ zusammenfassen können: wirtschaftlich top erfolgreich, aber mit einem Employer Branding gegen Null. Sie sind es, die dringend Personal brauchen. Und viele von ihnen sind bereit, ein vernünftiges Honorar zu bezahlen, denn sie haben erkannt: Wenn sie eine gute Personalvermittlung beauftragen, bekommen sie die passenden Arbeitskräfte.
Personaldienstleistern entstehen durch die Direktansprache Kosten, wenn sie die angesprochene Qualität vor Quantität sichern wollen. Das weiß jeder, und es ist auch logisch: Erhöhter Personaleinsatz erhöht die Kosten. Für die Direktansprache potenzieller Mitarbeitender zu bezahlen, ist daher einfach eine wirtschaftliche Notwendigkeit.
arbeitsblog: Apropos Direktansprache: Sind Active Sourcing und Empfehlungsmarketing die zwei großen Trends in der Personalvermittlung? Wie können Personaldienstleister diese nutzen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen?
Heinz Ostermann: Meiner Meinung nach gibt es dazu gar keine Alternative – sowohl in der Arbeitnehmerüberlassung als auch in der Personalvermittlung. Wenn wir uns auf die Vermittlung konzentrieren und auf das, was unsere Studie Barometer Personalvermittlung gezeigt hat – also Qualität vor Quantität – dann bleibt mir als Personaldienstleister quasi gar nichts anderes übrig, als in die direkte Ansprache zu gehen. Ich muss einfach Active Sourcing betreiben – und zwar nicht als KI, sondern als emotionaler Mensch, der weiß, ob jemand zum Unternehmen passt oder nicht.
Direktansprache hat sich im Facharbeiterbereich schon heute etabliert – auch in der Personalvermittlung. Es gibt Logistikfirmen, die ein Honorar im hohen vierstelligen Bereich zahlen, wenn man ihnen einen Gabelstaplerfahrer mit Erfahrung mit Hochregalen und kameragesteuerten Gabelstaplern vermittelt. Denn diese Fachkräfte gibt es einfach nicht mehr – das zeigen auch die Arbeitsmarktzahlen.
arbeitsblog: Wie kann es Personalvermittlern aus Ihrer Sicht gelingen, sich als kompetenten Partner zu positionieren, der nicht nur eine Dienstleistung anbietet, sondern auf Augenhöhe berät und einen Mehrwert für alle Beteiligten bietet?
Heinz Ostermann: Qualität vor Quantität ist auch hier die Lösung. Nehmen wir an, ich komme aus der Zeitarbeit und suche für einen Kunden einen Buchhalter oder eine Buchhalterin zur Direkteinstellung. Der Kunde braucht jemanden für die Debitorenbuchhaltung, der Forderungsmanagement betreibt. Ich aber schicke ihm Kreditorenbuchhalter, Junior Controller oder allgemein jeden aus meinem Bewerberpool, der schon mal in Berührung mit dem Thema Buchhaltung gekommen ist. Das geht natürlich schief. Letztendlich ist weniger mehr. Lieber nur drei Profile schicken statt zehn – und die entsprechen aber den Matching-Faktoren.
Personalvermittler übernehmen eine wichtige Aufgabe – gerade für die vielen mittelständischen Unternehmen – und sollten sich den tollen Job, den sie machen, auch entsprechend vergüten lassen.
arbeitsblog: Können Personaldienstleister so ihr Image auf lange Sicht verbessern?
Heinz Ostermann: Hier muss man zwischen Qualität und Ruf differenzieren. Auf der einen Seite geht es darum, was der Kunde braucht. Wenn er über mich als Vermittler jemanden findet, den er direkt einstellen kann, und auch eine gute Nachbetreuung für ihn sichtbar wird, dann spricht das für die Qualität meiner Leistung.
Auf der anderen Seite habe ich aber zum Beispiel fünf Bewerber, von denen eine oder einer angestellt wird. Damit sind vier weitere Menschen im ersten Moment unglücklich. Wenn ich mich aber weiter um sie kümmere, mit ihnen in Kontakt bleibe, ihnen Feedback gebe oder Alternativen anbieten kann, dann verbessere ich gleichzeitig mein eigenes Image. Das ist in der Personalvermittlung umso notwendiger. So zeigt auch unsere Studie Barometer Personalvermittlung, dass Kandidaten ihre Personalvermittler hauptsächlich über Empfehlungen aussuchen. Die Kandidaten, denen wir keinen Job geben können, müssen uns dennoch reinen Gewissens weiterempfehlen können – weil wir ihnen ein gutes Onboarding bieten, im Rekrutierungsprozess zur Seite stehen, Feedback und Tipps geben etc.
arbeitsblog: Aus der Studie Barometer Personalvermittlung ergeben sich klare Handlungsempfehlungen für Personalvermittler. Könnten Sie diese in einigen Stichworten zusammenfassen?
Heinz Ostermann: Gern. Letztendlich kommt es auf drei Aspekte an:
- Qualität vor Quantität: Sowohl Jobsuchende als auch Arbeitgeber möchten lieber weniger Optionen zur Auswahl haben, die dafür umso besser zu ihnen passen.
- Vertrauen schaffen: Mit Branchen- und Unternehmenskenntnissen kann man bei Kandidaten und Unternehmen punkten. Gleichzeitig bietet es sich an, stärker noch auf die Beratung bei Themen wie Recruiting und Gehältern zu setzen.
- Keine Angst vor Honorarforderungen gegenüber den Kundenunternehmen: Personalvermittler übernehmen eine wichtige Aufgabe – gerade für die vielen mittelständischen Unternehmen – und sollten sich den tollen Job, den sie machen, auch entsprechend vergüten lassen.
arbeitsblog: Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Ostermann!
Die 360-Grad-Studie „Barometer Personalvermittlung 2021 – Wachstumspotenziale für ein modernes Recruiting“ des Verbandsbereichs Personalvermittlung (VBPV) des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP) ist kostenfrei als PDF-Download oder in gedruckter Fassung erhältlich.