22.02.2022 Jochen Garbers

Preiserhöhungsjahr 2022: Lassen Sie sich nicht auf Taschenspielertricks ein!

  • 2022 ist in der Zeitarbeit ein Preiserhöhungsjahr – wie alle bisherigen Jahre auch.
  • In einem typischen Zeitarbeitsunternehmen sind über 90 Prozent aller Kosten Lohnkosten, also Löhne bzw. Gehälter für externe oder interne Mitarbeitende.
  • Kein Zeitarbeitsunternehmen kann es sich leisten, Verrechnungssätze unverändert zu lassen, wenn die Löhne steigen. Und das tun sie nun mal – meist jährlich oder sogar öfter.
  • Mit den Tipps von Preismanager und Berater Jochen Garbers verkaufen Sie Ihre Leistungen nicht unter Wert und verhandeln auf Augenhöhe.

In der Zeitarbeit werden die Tariflöhne zum 1.4.2022 um 4,1 Prozent erhöht. Sofern Zeitarbeitskräfte nach Tarif bezahlt werden, sollten die Verrechnungssätze (VS) zum 1. April 2022 ebenfalls um mindestens 4,1 Prozent steigen. Kundenunternehmen zweifeln gerne an, dass die Steigerung der Verrechnungssätze zum gleichen Prozentsatz fair sei.

Ein Beispiel:

Einkäufer Max Pseudofair sagt: „Wir rechnen die Steigerung der Lohnkosten in den neuen Verrechnungssatz ein und dann haben wir einen neuen fairen Preis.“ Seine Rechnung: Der Lohn steigt zum Beispiel um 1 € und der Faktor zur Deckung der direkten Lohnkosten liegt bei 1,6. Max Pseudofair will daher nur eine Erhöhung des Verrechnungssatzes um 1,60 € akzeptieren. (Der Faktor 1,6 deckt ca. die Kosten für Arbeitgeberbeiträge und kalkulatorische Kosten für unproduktive Zeiten ab.)

Der Trick besteht darin, alle Kosten außer den Tariflohnerhöhungen schlichtweg zu ignorieren. Machen Sie sich vor einer Preisverhandlung klar: Wenn Sie das akzeptieren, sind Sie im Grunde damit einverstanden, dass Ihr eigenes Gehalt (auf ewig!) da bleibt, wo es heute ist.

– Jochen Garbers

Jochen Garbers

Mit dieser Position setzen sich die Kundinnen und Kunden nach meiner Erfahrung nicht selten durch. Der Trick besteht natürlich darin, alle Kosten außer den Tariflohnerhöhungen schlichtweg zu ignorieren. Die steigen aber auch! Vor allem die internen Gehälter als zweitwichtigster Kostenblock in der Zeitarbeit sind alles andere als konstant. Machen Sie sich vor einer Preisverhandlung klar: Wenn Sie das Argument von Max Pseudofair akzeptieren, sind Sie im Grunde damit einverstanden, dass Ihr eigenes Gehalt (auf ewig!) da bleibt, wo es heute ist.

Oder aber Sie haben diesen Artikel gelesen und lassen sich auf den Taschenspielertrick von Max Pseudofair nicht ein. Am 1. April 2022 erhöhen Sie die Verrechnungssätze um 4,1 Prozent. Diese Erhöhung ist faktor-neutral, d. h. Faktor (und auch Deckungsbeitrag in Prozent) bleiben konstant. Also alles gut, richtig?

Sie ahnen es bereits: Möglicherweise ist es das nicht, und darum geht es jetzt.

Mit welchen Argumenten sollten Sie Verrechnungssätze um mehr als 4,1 Prozent erhöhen?

  1. Die tatsächliche Steigerung ist höher als 4,1 Prozent. Oben hieß es ja schon einschränkend „sofern die Zeitarbeitskräfte nach Tarif bezahlt werden“. Nicht selten ist das nicht der Fall, z. B. wenn Mitarbeitende außertariflich bezahlt werden oder die Lohnentwicklung dank Vergleichslohn/Equal Pay faktisch von den Vergleichslöhnen der Stamm-Mitarbeitenden abhängt. Die Mindestpreisanpassungsformel „% Lohnerhöhung = % VS-Erhöhung“ gilt aber auch in diesen Fällen, wenn der Faktor nicht ausgehöhlt werden soll.
  2. Es gibt fundamentale Änderungen bei der Kostensituation. Hier gibt es drei unterschiedliche Kategorien:
  • Unproduktive Zeiten steigen. Dass ist der Fall, wenn z. B. Krankheits- oder Urlaubszeiten zunehmen. Es gibt tatsächlich Anzeichen, dass die Corona- Pandemie in 2021 die AU-Zeiten erhöht hat (leider noch keine belastbaren Zahlen, mit denen man rechnen kann). Immerhin, bei einer Preisdiskussion mit Kundinnen und Kunden kann man höhere AU-Zeiten aufgrund Corona durchaus als Argument bringen. Bei den Urlaubszeiten tut sich nichts Grundsätzliches, aber haben Sie eigentlich die Kosten für den zusätzlichen Tag 2021 an die Kundinnen und Kunden weitergegeben? Ein Tag weniger Produktivzeit ist ca. 0,5 Prozent weniger Umsatz, und das ist in der Zeitarbeit kein Pappenstiel. Und: Nach den im Arbeitgeberjahr 2021 perfekt liegenden Feiertagen werden Arbeitnehmende in 2022 typischerweise zwei Tage weniger arbeiten. Es gibt also durchaus Kostentreiber beim Thema unproduktive Zeiten. Ob und wie stark Sie daher Preise erhöhen wollen, ist natürlich Einschätzungssache. In jedem Fall sollte man diese Kostentreiber 2022 bei Kundengesprächen „draufhaben“: AU-Zeiten wegen Corona, zusätzlicher Urlaubstag seit 2021, 2 Feiertage mehr als 2021.
  • Arbeitgeberkosten steigen. Das wäre der Fall, wenn z.B. die Arbeitgeberkosten für die Sozialversicherung steigen. In 2022 ist das aber kein Thema. Es gibt zwar winzige Änderungen, die aber für die Kalkulation keine Rolle spielen. Zu der Rubrik Arbeitgeberkosten gehört auch die Erhöhung der Sonderzahlungen. Je nach Zugehörigkeitsdauer werden in 2022 zwischen jeweils 30 € und 100 € mehr fällig für Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Wenn ein Mitarbeitender beide Zahlungen in Höhe von 30 € erhält, muss der Verrechnungssatz immerhin um ca. 4 Ct. steigen, um diese Kosten auszugleichen. Muss man sich darum kümmern? Ja! Die Wirkung von Cent-Beträgen beim Verrechnungssatz ist viel größer, als Sie denken.
  • Administrationskosten steigen. Das passiert, wenn Zeitarbeit aus dem einen oder anderen Grund komplizierter wird und wir mehr Mitarbeitende oder neue Systeme benötigen, um mit der Komplexität umzugehen. Aktuell wird man wieder an die Corona-Pandemie denken. Welche zusätzlichen Klimmzüge sind nötig, um das Geschäft am Laufen zu halten, und was kosten sie? Es wird sicher Kundinnen und Kunden geben, bei denen das eine Rolle spielt, und dann darf und muss man auch darüber reden, dass die Verrechnungssätze auch aus diesem Grund steigen müssen.

Die unter 2.) genannten Argumente laufen alle darauf hinaus, dass eine Faktor-erhöhende Preisanpassung gefordert wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man sich so einen Schritt bei Bestandskundinnen und -kunden genau überlegen sollte. Wenn man z. B. wegen der zusätzlichen Feiertage in 2022 eine Preiserhöhung argumentiert wird, kommt von manchem Kunden die Gegenfrage, warum dann zum Arbeitgeberjahr 2021 die Preise nicht gesenkt wurden. Grundsätzlich gilt das auch für Corona-bedingte zusätzliche AU-Zeiten, die sich hoffentlich irgendwann wieder normalisieren werden. Ein zeitlich begrenzter „Corona-Zuschlag“ wäre also deutlich leichter zu argumentieren. Der zusätzliche Urlaubstag in 2021 ist dagegen eine dauerhafte Änderung der Kostensituation. Falls da noch nichts passiert ist, unbedingt jetzt nachholen! Auch die Erhöhung der Sonderzahlungen ist dauerhaft, gehört also sicher auch auf die Agenda.

Machen Sie sich selbst sowie Ihren Kundinnen und Kunden klar: Sie haben Alternativen. Es gibt andere, die bereit sind, die von Ihnen geforderten Preise zu bezahlen.

– Jochen Garbers

Man könnte auch auf die Idee kommen, die aktuelle und erwartete Inflation einzupreisen. Hier werden die Kundinnen und Kunden aber (meines Erachtens zurecht) darauf hinweisen, dass die Inflation in der Zeitarbeit ja dadurch ins Spiel kommt, dass die Löhne steigen. Wenn man erst die Lohnsteigerungen einpreist und dann nochmals etwas für die Inflation draufsattelt, hat man sich den gleichen Vorgang im Grunde zwei Mal bezahlen lassen.

All das oben Gesagte gilt für Kundinnen und Kunden, bei denen grundsätzlich vernünftige Preisvereinbarungen bestehen. Was aber tun bei Kundenunternehmen, bei denen die Preise einfach nur „schlecht“ zu nennen sind?

Die besonderen Preistreiber in 2022 kann man als Aufhänger benutzen, um den Vertrag neu zu verhandeln. „Die Preise waren bereits schlecht, in 2022 sind sie (auch bei Faktor-neutraler Erhöhung) schlicht nicht mehr tragbar.“ Machen Sie sich selbst sowie Ihren Kundinnen und Kunden klar: Sie haben Alternativen. Es gibt andere, die bereit sind, die von Ihnen geforderten Preise zu bezahlen. Das Argument ist natürlich besonders glaubhaft, wenn Sie dank starker Vertriebsarbeit diese Alternativen bereits erarbeitet haben. Es ist nun einmal so: Warum sollte man in Zeiten knapper Arbeitskräfte die Mitarbeitenden dorthin überlassen, wo weniger gezahlt wird? Sie tun Ihrem Unternehmen und den Zeitarbeitskräften einen wichtigen Dienst, wenn Sie aktiv nach besseren Möglichkeiten suchen.

Nicht selten ist es so, dass sich ursprünglich faire Verrechnungssätze im Laufe der Zeit verschlechtert haben. Jedes Mal, wenn eine Kostensteigerung teilweise vom Zeitarbeitsunternehmen geschluckt wird, gibt es eine relative Verschlechterung der Konditionen. Sofern das öfter vorkommt, summieren sich die Effekte. Mit dem kostenlosen Bestandskundenrechner kann man leicht nachprüfen, ob das bei den eigenen Kundinnen und Kunden der Fall ist.

Quelle: kalkool

Oben ist so ein Fall abgebildet. Da die Tariflöhne EG 3 zwischen November 2012 und heute von 10,22 € auf 12,79 € gestiegen sind, bedeutet das ein Plus von 25,1 Prozent (Indexwert von 100 auf 125,1). Die Verrechnungssätze im Beispiel sind aber nur 10 Prozent höher. So entsteht die orange-gefärbte SVS-Lücke. Alles, was Sie für die Darstellung brauchen, sind Zeitpunkt und Höhe eines historischen Verrechnungssatzes sowie das aktuelle Niveau. Mit diesem Bild können Sie auch skeptische Kundinnen und Kunden überzeugen, dass bei den Verrechnungssätzen etwas massiv nicht stimmt.


Jochen Garbers

Jochen Garbers bringt jahrelange Erfahrung als Preismanager im Bereich der Personaldienstleistung mit. Er ist Entwickler und Herausgeber des Kalkulationstools kalkool für die Zeitarbeit. Der Artikel wurde zunächst im Blog koolnews veröffentlicht. Dort erscheint alle zwei Wochen ein Beitrag rund um die Themen Zeitarbeit und Preismanagement.

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