Personaldienstleister im Krisenmodus? Warum Stillstand keine Lösung ist
- Die deutsche Wirtschaft scheint aktuell zum Stillstand zu kommen. Immer mehr Entlassungen und Einsparmaßnahmen sind die Folge. Auch die Personaldienstleistung spürt die Auswirkungen.
- Philipp Riedel, Geschäftsführer von AVANTGARDE Experts, teilt im Interview seine Einschätzung zur aktuellen Situation der Branche und erklärt, welche Chancen auf Personaldienstleister warten.
- Am Beispiel des Zusammenschlusses des eigenen Unternehmens mit der YER Group zeigt Riedel auf, welches Potenzial strategische Partnerschaften innerhalb der Branche haben – und welche Risiken sie bergen.
arbeitsblog: Philipp, die deutsche Wirtschaft kriselt – welche Auswirkungen hat das deiner Meinung nach auf Personaldienstleister?
Philipp Riedel: Laut den letzten Prognosen (Stand 24.10.2024) haben wir in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent – und bilden damit fast das Schlusslicht in Europa. Das heißt, die deutsche Wirtschaft wächst das erste Mal seit Jahren gar nicht. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Personaldienstleister. Schauen wir uns hingegen die Situation am allgemeinen Arbeitsmarkt an, sieht man relativ hohe Fluktuationen. Deswegen ist die Krise in der Personaldienstleistung ein wenig abgemildert, auch wenn sie bei vielen Unternehmen da ist.
arbeitsblog: Blicken wir auf große Unternehmen wie VW, Tesla, DB und Co.: Die Entlassungswellen betreffen derzeit viele zukunftsfähige Branchen. Sind Tech und Ingenieurwesen doch keine Berufe mit Zukunft mehr? Wie lässt sich diese Entwicklung erklären?
Philipp Riedel: Natürlich sind und bleiben das relevante Berufsgruppen, denn Deutschland ist ein wichtiger Standort in den Bereichen Produktion, Entwicklung sowie Dienstleistung – da werden Menschen mit diesen Schwerpunkten zwingend gebraucht. Allerdings sind die Deutschen nicht gerade bekannt dafür, die Ersten in allem zu sein, sondern lieber abzuwarten und den sicheren Weg zu gehen. Dass momentan eher abgebaut wird, liegt daher zu einem großen Teil daran, dass freigewordene Stellen nicht nachbesetzt werden. Zudem wird natürlich in einer Zeit, in der weniger produziert wird, auch die Produktion runtergefahren. Im Bereich Blue Collar ist also definitiv ein Rückgang zu beobachten. Wenn ich dagegen auf White Collar-Berufe blicke – also vor allem im Entwicklungsbereich, in dem wir auch die meiste Kundschaft haben –, dann kann ich definitiv nicht von Krise berichten.
Ich bin mir sicher, dass die Zeit nach der Krise schneller kommt, als wir denken. Wir müssen jetzt den Mut haben, zu investieren, um daraus noch stärker hervorzukommen.
arbeitsblog: Was können Personaldienstleister jetzt tun, um ihre Marktposition zu stärken?
Philipp Riedel: Aus meiner Erfahrung heraus hat man einen Vorteil, wenn man eine gewisse Nische bedient. Mit einem klaren Fokus fällt die Ansprache neuer Kundschaft leichter. Denn als Dienstleister müssen wir im Moment wieder deutlich proaktiver sein und die Unternehmen von uns überzeugen. Dafür ist in meinen Augen der persönliche Kontakt essenziell, der durch die Pandemie ein Stück weit verloren gegangen ist. Schließlich macht die Personaldienstleistungsbranche genau das Menschliche aus. Wir brauchen also starke Beziehungen zu unseren Kund*innen und Kandidat*innen, um eine Vertrauensbasis aufzubauen. Gepaart mit ein bisschen Kreativität, neue Wege zu gehen, hilft das garantiert, um die Marktposition zu stärken.
Neben der Kreativität hilft zudem eine Prise Mut, um in der Krise zu investieren. Das mag im ersten Moment kontraintuitiv klingen und funktioniert natürlich nur, wenn man es sich finanziell erlauben kann. Aber wenn der Cashflow vorhanden ist, sollte man die Investition in der Krise als strategische Idee sehen, um dadurch stärker hervorzukommen. Denn ich bin mir sicher, dass es eine Zeit nach der Krise geben wird – und das schneller, als wir glauben.
arbeitsblog: Dass ihr Mut habt, habt ihr bereits bewiesen. Denn AVANTGARDE Experts hat sich mit der internationalen YER Group zusammengeschlossen. Welche Chancen, aber auch Risiken bedeuten solche Akquisitionen für die Branche?
Philipp Riedel: Auch wenn uns die YER Group eigentlich aufgekauft hat, würde ich von einem Zusammenschluss sprechen. Das war für uns ein Glücksfall, weil wir uns so aussuchen konnten, wie es weitergehen soll. Unser Ziel ist es, die gute Zusammenarbeit mit den handelnden Personen auch langfristig aufrechtzuerhalten. Da wir keine Produkte oder großen Assets im Unternehmen haben, sind es gerade Menschen, die den Unterschied machen. Darin sehe ich auch den größten Vorteil eines solchen Zusammenschlusses: Hier treffen Branchenexpert*innen und Strateg*innen aufeinander, die mit einem Blick von außen neue Wege für das Unternehmen einschlagen können.
Gleichzeitig hält ein komplexer Zusammenschluss natürlich auch Risiken bereit. Gerade wenn ein Unternehmen auf einmal zu einem internationalen Konzern gehört, besteht die Gefahr, Prozesse oder Botschaften zu übertragen, die nicht zum eigenen Profil passen. Dadurch wird die eigene, bisher bestehende Marke „verwaschen“. Daher setzen wir weiterhin auf lokales Leadership. Unsere Identität und unsere Dienstleistung sind schließlich auch örtlich gebunden. Weiterhin ist es essenziell, die Mitarbeitenden früh in einen solchen Prozess einzubeziehen und transparent zu kommunizieren, was passiert. Das Risiko, gute Mitarbeitende zu verlieren und so die Position in der Branche zu schwächen, kann abgemildert werden. Das haben wir gemacht.
arbeitsblog: Wie wird sich die Zukunft der Personaldienstleistung entwickeln? Wie beeinflussen Personaldienstleister künftig unseren Arbeitsmarkt?
Philipp Riedel: Ich bin der Meinung, dass sich die Branche grundlegend ändern wird: Wir sehen jetzt schon, dass durch Digitalisierung und Zukunftstechnologien viele administrative Aufgaben wegfallen. Dadurch werden wir mehr Zeit haben, Unternehmen mit potenziellen Arbeitnehmenden zusammenzubringen, die menschlich gut zueinander passen. Die Überzeugung, dass jemand sein ganzes Leben lang in einem Unternehmen bleibt, ist heute schon überholt. Das wird sich in Zukunft noch stärker weiterentwickeln und uns als Personaldienstleistern eine Daseinsberechtigung geben. Wir haben so die Möglichkeit, das Wirtschaftswachstum und die Internationalisierung mit anzutreiben.
arbeitsblog: Vielen Dank für das Interview!
Philipp Riedel
Philipp Riedel ist Geschäftsführer von AVANTGARDE Experts, einem führenden Personaldienstleister, der sich auf die Vermittlung von qualifizierten Fach- und Führungskräften an Top-Unternehmen im Bereich Mobility & Tech spezialisiert hat. Seit 2018 führt er das Unternehmen mit visionärem Blick und treibt dessen innovative Ausrichtung kontinuierlich voran. 2024 wurde er für seine Verdienste mit dem APSCo Award for Excellence in der Kategorie „The Staffing Leader Award“ ausgezeichnet und stärkt die Position von AVANTGARDE Experts durch zukunftsweisende Schritte wie die strategische Partnerschaft mit der YER Group.