09.06.2020 Christopher Prohl

„Nur wer die Soft Skills der Mitarbeiter fördert, übersteht den digitalen Wandel!“

  • Futurist Kai Gondlach und Business Futurist Sven Göth haben gemeinsam ein Whitepaper veröffentlicht, in dem sie die Schlüsselkompetenzen für zukunftsfähige Personalstrategien umreißen
  • Eine ihrer Thesen: Die Digitalisierung steigert den Wert menschlicher Interaktion ­– wodurch Skills wie Empathie, Deutungswissen oder Bauchgefühl künftig zum Unterscheidungsmerkmal auf dem Arbeitsmarkt werden
  • Im Interview mit dem arbeitsblog spricht Kai Gondlach über das Paradoxon, dass der Mensch infolge des technologischen Fortschritts künftig ins Zentrum der Wirtschaft rückt. Zudem gibt der Zukunftsforscher konkrete Tipps, wie Personaldienstleister den unweigerlichen Wandel gemeinsam mit den bestehenden Mitarbeitern gestalten können

Bitte beachten Sie: Das Interview wurde vor Corona geführt. Deswegen kommt das Virus nicht zur Sprache. Die Kernaussagen verlieren dadurch aber nicht an Relevanz – im Gegenteil: Da Corona die Digitalisierung massiv vorangetrieben hat, gewinnen die Thesen von Kai Gondlach an Bedeutung!

Kai Gondlach, (c) Zukunftsforscher.de

Zukunftsforscher Kai Gondlach hat gemeinsam mit Business Futurist, Keynote Speaker und arbeitsblog-AutorSven Göth ein Whitepaper geschrieben: „Das Ende der Personalabteilungen. Warum sich HR selbst abschafft.“ Darin nennen die beiden Autoren die Schlüsselkompetenzen für zukunftsfähige Personalstrategien – und identifizieren fünf Dimensionen, die die wichtigsten Handlungsfelder für Personalverantwortliche in kleinen, mittelständischen und großen Unternehmen rahmen. Über eine der Dimensionen – das Paradoxon, dass die Digitalisierung den Wert menschlicher Interaktion steigert – hat sich der arbeitsblog mit Kai Gondlach unterhalten.

arbeitsblog: Herr Gondlach, leichte Frage zum Einstieg: Können Sie in zwei Sätzen zusammenfassen, wie sich Unternehmen aufstellen müssen, um für 2030 gerüstet zu sein?
Kai Gondlach: Die laufende Welle der Veränderung wird massenweise Unternehmen die Existenzgrundlage entziehen, wenn sie sich nicht rechtzeitig anpassen. Nur wer bereits heute massiv die Soft Skills seiner Angestellten fördert – insbesondere im Bereich Kommunikation –, kann die Situation überstehen.

Sie gehen davon aus, dass der Mensch infolge des technologischen Fortschritts künftig ins Zentrum der Wirtschaft rücken wird. Warum?
Weil Menschen soziale Wesen sind und bleiben, die in bestimmten Kontexten Wert auf Zwischenmenschlichkeit legen. Welche Situationen das sind, lässt sich pauschal nicht sagen. Dieselbe Person, die die Wahl der besten Haftpflichtversicherungspolice an einen virtuellen Assistenten delegiert, legt an anderer Stelle großen Wert auf menschliche Interaktion. Beispielsweise bei einem tiefgründigen Gespräch mit dem Hausarzt. Oder – um nah an Ihrer Leserschaft zu bleiben – bei der Vermittlung oder Überlassung von Personal. Für eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Kunden benötigen Dienstleister daher schon heute und in Zukunft erst recht Kernkompetenzen wie Empathie, Deutungswissen oder Bauchgefühl. Nicht gerade Skills, die im klassischen (Weiter-)Bildungssystem vermittelt werden.

Bedeutet: Empathie, Deutungswissen oder Bauchgefühl werden auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft zum Unterscheidungsmerkmal?
Richtig. Algorithmen oder Roboter werden Expertenjobs sinnvoll ergänzen und vor allem Arbeiten übernehmen, die prinzipiell wiederkehrenden Mustern folgen. Führungskräfte und Experten können und müssen sich dadurch auf menschlichere Tätigkeiten konzentrieren. Ich gehe davon aus, dass es 2030 einen komplett neuen Wirtschaftssektor geben wird, in dem sich alles um die zwischenmenschliche Interaktion dreht. Das wird sich auch gehaltstechnisch niederschlagen. Arbeitnehmer, die im Soft-Skill-Bereich hohe Kompetenzen vorweisen, werden im Gehaltsgefälle überproportional von der Digitalisierung profitieren. Anders als heute werden zwischenmenschliche Dienstleister in Zukunft ähnlich viel verdienen wie Experten. Oder plakativer ausgedrückt: Die Gehälter von Krankenschwestern und Fachärzten werden sich angleichen.

Anders als heute werden zwischenmenschliche Dienstleister in Zukunft ähnlich viel verdienen wie Experten. Oder plakativer ausgedrückt: Die Gehälter von Krankenschwestern und Fachärzten werden sich angleichen.

– Kai Gondlach

Sie haben es bereits angesprochen: Zahlreiche Tätigkeiten werden in den kommenden Jahren automatisiert. Bisherige Jobs fallen weg, neue entstehen. Was können Personalverantwortliche tun, um den unweigerlichen Wandel gemeinsam mit den bestehenden Mitarbeitern zu gestalten?
Was jedes Unternehmen ­– und somit auch jeder Personaldienstleister – tun kann und sollte: Antizipieren und erarbeiten Sie besser früher als später die neuen Tätigkeitsprofile. Ganz praktisch mit Stellenaus- und Funktionsbeschreibungen im Jahr 2030. Darauf können sich Ihre Angestellten heute schon bewerben und sich für entsprechende Weiterbildungsprogramme verpflichten. So wird die aktuelle Belegschaft sukzessive an die neuen Herausforderungen herangeführt.

Wie sollten Arbeitgeber mit Mitarbeitern umgehen, die sich – zum Beispiel aufgrund des bevorstehenden Ruhestands – nicht mehr groß verändern wollen?
Keine Frage, bei einem Teil der aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird die sukzessive Überführung in neue Aufgabenbereiche aus den unterschiedlichsten Gründen nicht möglich sein. Dann ist es Ihre Verantwortung als Arbeitgeber, gemeinsam einen Exit-Plan zu erarbeiten.

Auf welche Weise lässt sich vorab herausfinden, welcher Mitarbeiter für welches neue Tätigkeitsprofil besonders geeignet ist?
Die besten Arbeitgeber stellen ihre Angestellten auf neue Art und Weise ins Zentrum der jeweils eigenen Erwerbsbiografie. Sie erheben und schulen die persönlichen Charakterstärken, beispielsweise mit dem Myers-Briggs-Test. Nach dieser psychologisch gut erforschten Theorie hat jeder Mensch bestimmte Neigungen und Stärken, die gefördert werden können. Stärken stärken und lebenslanges Lernen sind keine revolutionär neuen Konzepte, werden aber erst richtig interessant, wenn die individuellen Potenziale messbar sind.


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