13.09.2022

„Nur wer den Markt kennt, kann auf Dauer bestehen.“

  • Während die Arbeitswelt derzeit von der anhaltend starken Nachfrage nach Arbeitskräften geprägt wird, warnen erste Stimmen bereits vor einer gegenteiligen Entwicklung.
  • Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, müssen Personaldienstleister nicht nur auf die aktuellen Entwicklungen reagieren, sondern sich auch proaktiv für künftige Herausforderungen wappnen.
  • Wie kann das gelingen? Wir haben mit Marco Reinhardt, Senior Account Manager DACH bei Textkernel, gesprochen. Anhand von Praxisbeispielen und aktuellen Marktzahlen gibt er konkrete Tipps für Personaldienstleister.

arbeitsblog: Herr Reinhardt, derzeit sprechen alle von Arbeitnehmermarkt und „War for Talent“. Vor einigen Wochen warnte der Vertriebsexperte Axel Walz hingegen vor einer drohenden Rezession und einem starken Rückgang der Nachfrage nach Arbeitskräften. Wie beurteilen Sie die Lage?

Marco Reinhardt: Es gibt durchaus Anzeichen, die dafür sprechen – vom Krieg in der Ukraine über steigende Energiepreise und hohe Materialengpässe bis hin zur Pandemie. Diese ist zwar aktuell nicht mehr Gesprächsthema Nummer eins, hält dennoch weiterhin an. All das sind Faktoren, die sich stark auf den Arbeitsmarkt auswirken.

arbeitsblog: Was bedeutet das für Personaldienstleister?

Marco Reinhardt: Sie müssen einen Spagat machen und einerseits die aktuelle Nachfrage decken und um jeden potenziellen Mitarbeitenden werben – während sie sich andererseits auf ein komplett konträres Szenario vorbereiten.

arbeitsblog: Wie kann das gelingen?

Marco Reinhardt: Verlässliche Marktanalysen sind hierfür unverzichtbar. Mein Rat an Personaldienstleister ist: Sehen Sie sich die Entwicklungen der vergangenen Jahre genauer an und gewinnen Sie daraus Erkenntnisse. Achten Sie nicht nur darauf, was Mitarbeitende erwarten, sondern nehmen Sie vor allem auch die Anforderungen der Arbeitgebenden unter die Lupe.

arbeitsblog: Inwiefern ist das hilfreich?

Marco Reinhardt (Foto: textkernel)

Marco Reinhardt: Sehen wir uns ein konkretes Beispiel an. Die Autoindustrie befindet sich derzeit im Wandel und dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Elektromobilität und autonomes Fahren sind auf dem Vormarsch und erfordern enorme Investitionen, während sie gleichzeitig die Anforderungen an die Beschäftigten stark verändern. Einer Studie des ifo Instituts zufolge werden bis zum Jahr 2030 mehr als 200.000 Arbeitsplätze wegfallen, die mit der Herstellung von Verbrennungsmotoren zusammenhängen.

arbeitsblog: Das sind ja düstere Aussichten!

Marco Reinhardt: Ja, vor allem, wenn man im Hinterkopf behält, dass die Autoindustrie für viele Personaldienstleister weiterhin zu den wichtigsten Auftragsbranchen gehört. Wie dramatisch die Auswirkungen von Einbrüchen sein können, haben viele 2020 am eigenen Leib erfahren, als die Automobilproduktion in Folge der Pandemie innerhalb kürzester Zeit um 24 Prozent einbrach. Das führte schließlich zu einem enormen Rückgang der ausgeschriebenen Stellen. Doch genau aus solchen Entwicklungen gilt es, zu lernen – denn schließlich können sie auch eine Chance bedeuten, wenn man nur die richtigen Schlüsse zieht.

Quelle: Textkernel-Studie “Covid, Tesla, Digitalisierung”

arbeitsblog: Eine Chance? Das müssen Sie uns aber noch einmal genauer erläutern.

Marco Reinhardt: Im Juni 2020 hatte die Autoindustrie das Gröbste überstanden. Zwischen Juni und Oktober stiegen die Zahlen hier stark an – und mit leichter Verzögerung wirkte sich das auf die Zahl der offenen Stellen aus, wie Daten unseres Arbeitsmarkt-Tools Jobfeed zeigen. Wer die Entwicklung genau im Blick behalten hat, konnte aus der wachsenden Auslastung in der Produktion auf eine steigende Personalnachfrage schließen und diese Erkenntnis frühzeitig nutzen. Hier sehen wir sehr gut: Nur wer den Markt kennt, kann im entscheidenden Moment gut vorbereitet sein und so auf Dauer bestehen.

Andere Beispiele für solche Chancen, die Personaldienstleister ergreifen sollten, sind die Elektromobilität und das autonome Fahren.

arbeitsblog: Das sind aber doch die Themen, die zu einem massiven Stellenabbau führen sollen?

Marco Reinhardt: Das ist eine Seite der Medaille – und nur diese zu betrachten, wäre zu kurzsichtig. Denn was brauchen Unternehmen, die auf neue, vernetzte Technologien setzen? Richtig, IT-Profis. Hier hätten wir also wiederum eine Chance für Personaldienstleister. Doch auch hier gilt es, die Marktlage und die Entwicklungen der vergangenen Jahre zu prüfen, um vorausschauend zu agieren und die Trends der kommenden Jahre zu erkennen.

arbeitsblog: Können Sie uns hierzu ein konkretes Beispiel geben?

Marco Reinhardt: Gerne. Wir haben über Jobfeed Daten aus den vergangenen Jahren gesammelt und im Rahmen der Studie “Covid, Tesla, Digitalisierung” für die Automobilbranche analysiert. Die interessante Erkenntnis ist: Während die Nachfrage nach Software-Entwicklerinnen und -entwicklern stetig wächst, erreichte die Nachfrage im Hardware-Segment bereits 2015 ihren Höhepunkt und brach anschließend stark ein. Solche Daten stellen eine hervorragende Basis für die Strategie von Recruiting-Profis und Personaldienstleistern dar – vor allem, wenn auch weitere Aspekte wie Soft und Language Skills in die Betrachtung mit einbezogen werden, wie wir es etwa in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) im Rahmen der Studie „IT- und Soft-Skills im deutschen Arbeitsmarkt“ getan haben.

Quelle: Textkernel-Studie “Covid, Tesla, Digitalisierung”

arbeitsblog: Fassen wir zusammen: Wenn Personaldienstleister die Entwicklung der ausgeschriebenen Stellenanzeigen im Blick behalten, können sie sich optimal für die Zukunft wappnen. Doch was ist mit den aktuellen Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel?

Marco Reinhardt: Auch hier ist es extrem sinnvoll, auf Arbeitsmarktdaten zurückzugreifen. Man kann sich zum Beispiel die Branchen oder auch Berufsgruppen anschauen, die konjunkturell derzeit rückläufig sind, in denen also eher Personal frei wird. Mithilfe der richtigen Arbeitsmarktdaten kann man dann analysieren, welche Skills dort genutzt werden - das heißt welche Skills gerade wieder verfügbar werden. Während der Hochphase der Corona Pandemie hätte das zum Beispiel konkret bedeuten können: Kann ich Projektmanager:innen aus der Messe- und Veranstaltungsbranche etwa als Customer Success Manager:innen für andere Branchen gewinnen. Viele Skills wie Bedarfsanalyse, Moderation, Kommunikation, Präsentation, etc. stimmen in beiden Jobgruppen überein, ein Wechsel könnte gelingen und ich kann so Jobsuchende ganz gezielt ansprechen.

arbeitsblog: Vielen Dank für das spannende Interview, Herr Reinhardt!

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