Mit Flexibilität und offenen Systemen zu mehr Produktivität
- Mit dem Launch ihrer neuen Dachmarke compleet wollen sich GermanPersonnel, Compana, EVINT und AVAX für die Zukunft aufstellen. Wir haben das zum Anlass genommen, um mit Marco Kainhuber und Axel Trompeter über die Trends zu sprechen, die in den kommenden Jahren die Branche prägen werden.
- Digitalisierung, Flexibilisierung und ein Wandel weg vom reinen Verkauf von Arbeitsstunden hin zur kompetenten, qualitativ hochwertigen Dienstleistung: Chancen und Herausforderungen für die Branche
- Echtzeit-Datenaustausch, Cloud als Zukunftsmodell und offene Systeme für mehr Produktivität: So sieht die Zukunft der Personaldienstleister aus Sicht von compleet aus.
arbeitsblog: Erst einmal natürlich herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Launch – das ist ja in der Regel ein Monster-Unterfangen und ihr hattet bestimmt alle Hände voll zu tun. Was war der Hintergrund, was hat euch dazu motiviert?
Marco Kainhuber: Vor dem Zusammenschluss waren wir ja unterschiedliche Player in unterschiedlichen Marktsegmenten. Wir wollen aber natürlich als eine offene Plattform wahrgenommen werden, die in verschiedenen Bereichen ihre Stärken hat und dennoch gerade auf einem Gebiet konzentrierte Kompetenz aufweist: bei der effizienten Beschaffung der richtigen Mitarbeitenden unterstützen – und auch dabei, diese möglichst produktiv einzusetzen. Dazu sind neben einem offenen Mindset auch offene Technologien nötig. Wir haben also einen neuen Namen gesucht, der genau das zum Ausdruck bringt. Am Ende ist es compleet geworden, was es aus meiner Sicht exakt auf den Punkt bringt: vollständig einerseits, andererseits offen im Sinne von vervollständigend.
arbeitsblog: So einen Launch gerade in der aktuellen, pandemiebedingten Situation ist für viele vermutlich kein logischer Schritt. Also, warum gerade jetzt?
Axel Trompeter: Wir sind stark im temporären Arbeitsmarkt unterwegs – Personaldienstleistung, Zeitarbeit und Co. Und wir sehen schon, dass die große Talsohle durchschritten ist und es wieder bergauf geht. Auch die Zahlen, die wir sehen, lassen darauf schließen. Zurzeit bemerken wir zudem einen starken Konsolidierungstrend, gerade in der Personaldienstleistung. Viele der großen Personaldienstleister sind nochmal größer geworden und haben weitere Unternehmen gekauft. Und Konsolidierung geht meist mit Digitalisierung und Automatisierung einher. Das ist aus unserer Sicht der zweite Trend, der den Markt aktuell bestimmt: Es müssen digitale Tools eingeführt und Prozessstrecken digitalisiert werden. Und ich glaube schon, dass jetzt sogar der allerbeste Zeitpunkt ist, eine neue Marke zu etablieren.
Natürlich sind wir auch noch nicht wieder bei den alten Zahlen. Ich denke, die Personaldienstleistung wird sicherlich noch ein paar Monate brauchen. Aber wir wissen ja, die Personaldienstleister sind der Frühindikator für wirtschaftliche Strömungen und Tendenzen in Deutschland. Das heißt, wir gehen davon aus, dass die Personaldienstleistung in den nächsten zwei Quartalen nochmal stark anziehen wird und auch zeigen wird, dass diese Krise ein Ende hat.
arbeitsblog: Spinnen wir diesen Gedanken ein bisschen weiter. Würdet ihr sagen, dass jetzt generell der richtige Zeitpunkt für Personaldienstleister ist, um anspruchsvolle Projekte wie Digitalisierung in Angriff zu nehmen? Sollte man die aktuelle Dynamik nutzen, um sich schon mal für die Zukunft aufzustellen, also für die Zeit nach Corona?
Marco Kainhuber: Sagen wir es mal so: Jede wirtschaftliche Leistung basiert auf den Menschen, die sie erbringen. Es gäbe keinen Service und keine Arbeitsleistung – also auch kein Bruttosozialprodukt –, wenn es nicht die Menschen gäbe, die diese Leistung erbringen. Es war vor der Pandemie so, aktuell ist es weiterhin so – und nach der Pandemie umso mehr. Dadurch wird in Zukunft auf der einen Seite die Arbeitskraft noch mehr an Bedeutung gewinnen und auf der anderen das Thema Flexibilität. Denn wenn es darum geht, Menschen effizient in Einsatz zu bringen, werden Personaldienstleistung, Zeitarbeit, aber auch Selbstständige oder sogenannte „Gig-Worker“ zunehmend eine wichtige Rolle spielen – und natürlich die Digitalisierung, die zu den Voraussetzungen für die bereits genannte Flexibilität gehört. Digitalisierung hat aber auch einen weiteren Vorteil. Sie kann – wenn man sie richtig vorantreibt – dabei helfen, die Menschen vernünftig zu entlohnen. Wir wollen mit Digitalisierung die Welt, insbesondere die der flexiblen Arbeitskräfte, besser und produktiver machen. Und dafür gibt es keinen besseren Zeitpunkt als jetzt.
Axel Trompeter: Hinzukommt, dass in der Konsolidierung, die wir gerade erleben, auch der Wettbewerb schärfer wird. Dadurch, dass der Markt sich ein Stück weit auf größere Player reduziert, wird natürlich auch die Schwierigkeit größer, ein echtes Alleinstellungsmerkmal zu bekommen. Dazu kann eben Digitalisierung der Schlüssel sein. Wenn man die Standardprozesse und -themen, die niemand gerne macht, so digital und automatisiert wie möglich gestaltet, verschafft man sich Zeit für echte Qualität, also für Service, Nähe zu den Kunden und den Mitarbeitern. So kann man im Vergleich zur Konkurrenz wirklich punkten. Das finde ich ganz, ganz wesentlich. Und wie Marco schon gesagt hat, geht es immer um die Menschen. Alles, was uns davon abhält, Zeit für die Menschen zu haben, müssen wir möglichst automatisieren und digitalisieren – gerade, wenn sich der Markt neu aufstellt.
arbeitsblog: Verschaffen vernetzte Prozesse und Echtzeitfunktionen einem die Zeit, die man fürs Wesentliche braucht?
Marco Kainhuber: Mit Echtzeitinformationen kann man erst wirklich produktiv arbeiten. Zum einen geht es dabei um die Kandidaten: Ist ein Bewerber gerade jetzt verfügbar? Und was muss ich fürs Recruiting ausgeben? Zum anderen geht es natürlich um den Kunden: Was braucht er genau in dem Moment? Fehlen gerade in der Früh- oder Spätschicht Mitarbeiter? Wie viele Arbeitskräfte braucht er, um die geplante Leistung zu erbringen? Hier kommt die Cloud, von der so viele sprechen, ins Spiel. Wir beispielsweise führen alle nötigen Informationen in Echtzeit zusammen: Die Daten sind also sofort verfügbar und können verarbeitet werden.
arbeitsblog: Produktivität ist die Basis für Wettbewerbsfähigkeit – vor allem auf lange Sicht. Liegen wir richtig mit dieser Annahme?
Axel Trompeter: Das zeigt sich, wenn man auf die andere Seite blickt – also zu den Einsatzunternehmen, die diese Produktivität ja genauso benötigen. Wenn ich zum Beispiel in der Logistik tätig bin, dann weiß ich: Wenn ich meine Schichten, meine Kapazitäten nicht wirklich gedeckt habe, verliere ich Geld. Wenn ich auch noch in der Kühl- oder Lebensmittellogistik unterwegs bin, dann bin ich darüber hinaus regresspflichtig. Das heißt, die entleihenden Unternehmen sind auch maximal auf gute Schnittstellen, direkten Zugriff und echte Produktivität angewiesen.
Ein Gedanke noch zum Thema Schnittstellen: Ich bin zu 100 Prozent ein Verfechter von offenen Systemen. Wir sind beispielsweise mit unseren vier Unternehmen nicht automatisch komplett für alles, was jemals im HR-Bereich gebraucht wird. Es wird sicherlich eine Menge Software, Systeme etc. geben, die Kunden von uns gerne mit in ihre Systeme integrieren wollen. Dazu brauchen wir offene Systeme sowie eine wirklich starke Integration und Verzahnung. Da ist es mit einem reinen Datentransport von A nach B nicht getan, sondern man braucht wirklich durchgehende Prozesse.
Marco Kainhuber: Und dann gibt es ja auch den Zusammenhang zwischen Produktivität und den Menschen, die die Leistung vollbringen – sprich, Arbeitskräfte sollen einen vernünftigen Lohn bekommen. Wenn sich Unternehmen, insbesondere Personaldienstleister, digital aufstellen und somit Zeit und Ressourcen sparen, sind sie letztlich auch in der Lage, Menschen richtig zu entlohnen. Dadurch können sie sich dem „Schmuddel-Image“ der Branche entledigen.
arbeitsblog: Das wäre auf jeden Fall ein wichtiger Schritt nach vorne. Mit Blick in die Zukunft, gibt es in Sachen Trends und Entwicklungen etwas, was Personaldienstleister aus eurer Sicht auf gar keinen Fall verpassen sollten?
Marco Kainhuber: In allererster Linie sollten sie nicht verpassen, Personaldienstleistung neu zu denken. In den vergangenen 30, 40, 50 Jahren – je nachdem, welchen Zeitpunkt man als Ursprung der Personaldienstleistung definiert – war die Branche damit beschäftigt, Arbeitsstunden zu verkaufen. Die Welt hat sich aber spätestens mit der Corona-Pandemie schlagartig verändert. Personaldienstleister müssen anfangen, entlang der Wertschöpfungskette ihrer Kunden zu denken. Dabei sollten sie auf der einen Seite die Unternehmen betrachten, für die sie Personal gewinnen – auf der anderen Seite aber auch die Menschen, die sie rekrutieren. Letztlich geht es wirklich darum, eine qualitativ hochwertige Dienstleistung zu erbringen. Denn dann würden sie endlich aus dieser – sagen wir es, wie es ist – f***ing Preisdiskussion rauskommen – und auch aus dem Imageproblem. Im Moment haben wir ja eine äußerst ungünstige Situation: Wenn man an Personaldienstleistung denkt, dann als ein Synonym für Mindestlöhne und Wahlkampfpropaganda (wie jüngst in den Medien). Wir sollten dahin kommen, die Dienstleistung mit Hilfe von Digitalisierung und Technologie transparent, qualitativ hochwertig und sichtbar zu machen, Menschen vernünftig zu entlohnen und sich als Dienstleister echt zu positionieren.
Axel Trompeter: Ja, da müssen wir einfach unsere Hausaufgaben machen. Wenn man die Personaldienstleistung als Ganzes anschaut, haben viele sehr stark digitalisiert – zum Teil auch durch die Konsolidierungen bedingt. Das mussten sie tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch im Vergleich zu anderen Branchen gibt es hier durchaus noch Nachholbedarf. Und für mich sind da drei zentrale Punkte: Go cloud: „Ich hab meinen Server im Keller und nur dem vertraue ich.“ – Diese Denkmuster gehören abgeschafft. Open your systems: Es ist wichtig zu prüfen, wie offen die eigenen Systeme sind und welche Systeme integrierbar sind, um wirklich alle Prozesse abbilden zu können. Understand your data: Aus gesammelten Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen und darauf basierend zu arbeiten, ist essenziell.
So kann man nah am Menschen und nah am Kunden agieren und zeigen, dass man einen exzellenten Job macht. Nur so kommen Personaldienstleister aus der Situation raus, in der sie immer wieder zu Preisverhandlungen und defensiver Argumentation gezwungen sind. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und die Schritte gehen, die notwendig sind.
arbeitsblog: Gibt es noch etwas, das ihr Personaldienstleistern mit auf den Weg geben würdet?
Axel Trompeter: Einen Gedanken würde ich gern noch loswerden, auch wenn er vielleicht gewagt oder visionär ist. Ich bin Vater von drei Töchtern. Meine Große studiert jetzt Informatik und mit Blick auf die nächste Generation, die gerade in Ausbildung ist, glaube ich daran, dass sich flexible Arbeitsformen europa- und weltweit noch viel stärker etablieren werden, als wir uns das heute vorstellen. Meiner Meinung nach könnte es viel mehr Kurzzeit-Einsätze geben, und zwar auf den verschiedensten Qualifikationslevels. Personaldienstleistende Unternehmer könnten dann dafür sorgen, dass das Vertragliche ordentlich geregelt ist, und sich als kompetente, zuverlässige Partner beweisen. Dieser Umbruch würde die Branche zunächst vor große Herausforderungen stellen – schließlich müssen wir die Art und Weise, wie wir heute denken, komplett umstellen. Allerdings wäre es auch eine große Chance, sich neu zu erfinden.
Marco Kainhuber: Wenn wir schon bei Zukunftsmusik sind, will ich mal den Elon Musk der Branche spielen: Wie sieht die Personaldienstleistung 2035 auf dem Mars aus? (lacht) Aber Spaß beiseite: Wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt. Da will ich noch einmal betonen, dass Flexibilität in Zukunft eine noch bedeutendere Rolle spielen wird – gerade für Personaldienstleister. Für sie ist es meiner Meinung nach umso wichtiger, sich nicht mehr langfristig an Technologien zu binden, sondern maximal flexibel für echte Leistung und Wertschöpfung zu bezahlen.
arbeitsblog: Vielen Dank für das Interview!