KuSS-Mitglied Oelmann: „Wir sind weit mehr als ein Marketing-Gag!"
- Torsten Oelmann, Mitglied der Kontakt- und Schlichtungsstelle (KuSS), spricht im Interview über seinen Arbeitsalltag und den konkreten Ablauf der Beschwerdeverfahren
- Pro Jahr gehen bei der KuSS rund 300 Ethik-Kodex-relevante Beschwerden ein. Externe Faktoren wie die 2012 eingeführten Branchenzuschlagstarife können die Anzahl aber merklich erhöhen. Oelmann rechnet daher damit, dass sein Telefon durch den erzielten Tarifabschluss öfter klingeln wird
- Für einen Marketing-Gag hält Oelmann die KuSS nicht, im Gegenteil: „Wir finden in der Praxis viele Lösungen und geben immer wieder Anregungen an den iGZ, um das Thema ‚faire Zeitarbeit‘ nach vorne zu bringen.“
Zusammen mit Prof. Franz Josef Düwell und Holger Dahl bildet Torsten Oelmann die Kontakt- und Schlichtungsstelle, kurz: KuSS, des iGZ. Im Interview mit dem arbeitsblog spricht er unter anderem über die Genese der KuSS, den Ablauf von Beschwerden, die kuriosesten Fälle – und erklärt, warum er die KuSS für weit mehr als einen Marketing-Gag hält.
Herr Oelmann, können Sie kurz umreißen, wann und warum die KuSS ins Leben gerufen wurde?
Torsten Oelmann: Der iGZ hat sich Anfang 2012 einen Ethik-Kodex gegeben, der verbindliche Handlungsgrundsätze für faire Zeitarbeit formuliert. Um diesem Kodex Nachdruck zu verleihen, wurde mit der KuSS eine Anlaufstelle ins Leben gerufen, die als unabhängiges Gremium bewusst außerhalb des Verbandes angesiedelt ist. An die KuSS kann sich jeder wenden, der mit der Arbeit eines iGZ-Mitgliedsunternehmens nicht zufrieden ist.
Rund 50 Prozent aller Anfragen, die per Telefon oder Mail bei uns eingehen, sind konkrete, Ethik-Kodex-relevante Beschwerden. Die andere Hälfte geht eher in Richtung Verständnisfragen.
Sind es hauptsächlich Zeitarbeitnehmer, die sich an die KuSS wenden?
Tatsächlich sind es zu rund 90 Prozent Zeitarbeitnehmer, die den Kontakt suchen. Bei den anderen zehn Prozent handelt es sich entweder um andere Zeitarbeitsunternehmen, die sich über einen Konkurrenten beschweren wollen, oder um Kundenunternehmen, die unzufrieden mit der Arbeit eines Personaldienstleisters sind.
Mit welchen Anliegen kommen Zeitarbeitnehmer auf Sie zu?
Rund 50 Prozent aller Anfragen, die per Telefon oder Mail bei uns eingehen, sind konkrete, Ethik-Kodex-relevante Beschwerden. Beispielsweise, weil ein Zeitarbeitnehmer der Meinung ist, dass mit seiner Lohnabrechnung etwas nicht stimmt. Die andere Hälfte geht eher in Richtung Verständnisfragen. Etwa, weil ein Zeitarbeitnehmer seinen Arbeitsvertrag nicht versteht und lieber bei einer neutralen Stelle nachfragen möchte als bei seinem Arbeitgeber.
Wie läuft eine Ethik-Kodex-relevante Beschwerde typischerweise ab?
Eine konkrete Beschwerde nehmen wir entgegen und fragen – um uns einen möglichst objektiven Überblick verschaffen zu können – nach Unterlagen oder Dokumenten, aus denen der Sachverhalt hervorgeht. Darauf basierend entscheiden wir dann, ob die Beschwerde sachlich gerechtfertigt ist. Ist sie es nicht, erklären wir dem Zeitarbeitnehmer die Gründe. Wenn wir den Verdacht haben, dass die Beschwerde rechtens ist, bieten wir dem Beschwerdeführer an, das betroffene Zeitarbeitsunternehmen zu kontaktieren.
Wenn der Beschwerdeführer der Kontaktaufnahme zustimmt – wie geht es dann weiter?
Dann gehen wir auf das Mitgliedsunternehmen zu und bitten um Stellungnahme. Verweigert die Zeitarbeitsfirma die Zusammenarbeit mit uns, was nur in den seltensten Fällen vorkommt, melden wir das der iGZ-internen Einigungsstelle als Verstoß gegen den Ethik-Kodex. Daraufhin wird die Einigungsstelle beim betroffenen Mitgliedsunternehmen vorstellig. Kommt es auch hier nicht zur Kooperation, führt das schlimmstenfalls zum Verbandsausschluss.
Der Normalfall ist aber, dass sich das betroffene Zeitarbeitsunternehmen meldet?
Richtig – und dann schauen wir, wie sich der Konflikt schlichten lässt. Der konkrete Lösungsweg ist immer von der Rückmeldung des Unternehmens abhängig. Wird ein versehentlich begangener Fehler eingestanden und direkt korrigiert? Wird ein Fehlverhalten teilweise eingestanden? Oder weist das Unternehmen die Schuld entschieden von sich? In aller Regel gelingt es uns aber, Wege zu finden, mit der beide Seiten – Beschwerdeführer und iGZ-Mitglied – gut leben können.
Es gibt vereinzelt auch Fälle, in denen das nicht gelingt und die Fronten verhärtet bleiben. Wie geht es in einem solchen Fall weiter?
Wenn sich trotz aller Versuche partout keine Schlichtung erzielen lässt, hat der Zeitarbeitnehmer natürlich die Möglichkeit, seine Klage vor dem Arbeitsgericht weiterzuverfolgen. Losgelöst davon müssen wir von der KuSS in solchen Fällen darüber entscheiden, ob das Verhalten des Mitgliedsunternehmens dem Ethik-Kodex gerecht wird. Tut es das nicht, melden wir unsere Einschätzung an den iGZ-Vorstand. Der entscheidet zusammen mit der schon angesprochenen Einigungsstelle darüber, wie es mit dem Unternehmen weitergeht – bei gravierendem Fehlverhalten und keiner Einsicht des Mitglieds droht im Extremfall der Ausschluss. Aber wie gesagt: Das sind absolute Ausnahmefälle. Uns ist es wichtig, dass Unternehmer, die Fehler machen, wieder auf den richtigen Weg kommen. In erster Linie geht es uns darum, Lösungen zu finden. Und das klappt in fast 95 Prozent aller Beschwerdefälle!
Die KuSS ist also weit mehr als ein Marketing-Gag?
Mir ist bewusst, dass uns der eine oder andere als Marketing-Gag abtut. Das finde ich schade und ehrlich gesagt nicht gerechtfertigt, denn wir finden in der Praxis viele Lösungen und geben immer wieder Anregungen an den Verband, um das Thema „faire Zeitarbeit“ nach vorne zu bringen.
Gibt es Jahre, in denen sich die Ethik-Kodex-relevanten Beschwerden häufen? Beispielsweise aufgrund externer Faktoren wie der AÜG-Novelle im Jahr 2017?
Durchschnittlich haben wir pro Jahr rund 300 dieser Beschwerdeanfragen. Es gibt aber immer wieder besondere Situationen, aufgrund derer die Zahl der Anfragen steigt und durch die sich die thematischen Schwerpunkte der Anfragen ändern. Denken Sie neben der AÜG-Reform zum Beispiel an die 2012 eingeführten Branchenzuschlagstarife – die waren lange und oft Thema bei uns. Auch die Ende 2013 eingeführte, nicht ganz einfache Lohnfortzahlung, bei der anfangs viele Mitgliedsunternehmen und EDV-Anbieter nicht wussten, wie sie rechtssicher umgesetzt werden kann, führte zu vielen rechtlichen Fragestellungen.
Letztens hat mich ein Anrufer dazu aufgefordert, einen Streik auszurufen. An dieser Stelle musste ich passen – und habe den Anrufer gebeten, sich an die verantwortliche Gewerkschaft zu wenden.
Sie können sich also darauf einstellen, dass Ihr Telefon öfter klingeln wird. Jetzt, wo die Tarifverhandlungen zwischen VGZ und DGB abgeschlossen sind?
Klar – da es in den Verhandlungen um mehr als eine reine Stundenlohnanpassung ging, ist damit zu rechnen, dass sie sich mit etwas zeitlichem Versatz bei uns in der KuSS bemerkbar machen werden.
Abschließende Frage: Gibt es einen Schlichtungsfall, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Vor ein paar Jahren gab es ein Mitglied, das unbeabsichtigt Zeitarbeitnehmer in einem laufenden Streik eingesetzt hat. Dieses Unternehmen hat uns angerufen und quasi Selbstanzeige erstattet: Wir sollten dem iGZ-Vorstand den Vorfall als Verstoß gegen den Ethik-Kodex melden. Der Vorstand hat dem Mitglied eine Rüge erteilt, damit war die Sache erledigt. Weniger schön ist es, wenn wir von Zeitarbeitnehmern kontaktiert werden, die einfach nur ihren Frust bei uns abladen wollen. In seltenen Fällen werden wir als Schlichter dann sogar persönlich beleidigt. Letztens hat mich ein Anrufer dazu aufgefordert, einen Streik auszurufen. An dieser Stelle musste ich passen – und habe den Anrufer gebeten, sich an die verantwortliche Gewerkschaft zu wenden.
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