22.11.2022 Redaktion arbeitsblog

„KI ist kein Ersatz für die menschliche, emotionale Intelligenz.“

  • Im Herbst 2022 erschien die dritte Ausgabe der Studie „Barometer Personalvermittlung 2022 – Wachstumspotenziale für ein modernes Recruiting“ des Verbandsbereichs Personalvermittlung (VBPV) des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP).
  • Im Fokus der diesjährigen Ausgabe steht das Thema „KI im Recruiting“. Für die repräsentative Publikation wurden 1.000 Kandidatinnen und Kandidaten, 879 Kundenunternehmen sowie 608 Personalvermittler befragt. Die Ergebnisse geben einen aufschlussreichen Einblick in die Erwartungen und Erfahrungen aller Beteiligten und dienen als Basis für praxisnahe Handlungsempfehlungen für Personaldienstleister.
  • Welchen Mehrwert bieten Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) heute im Recruiting, welche Rolle werden sie in Zukunft spielen – und warum kann die KI den Menschen nicht ersetzen? Darüber haben wir mit Heinz Ostermann, Vorsitzender des Verbandsbereichs Personalvermittlung beim BAP und Mitglied des Executive Committee sowie Prokurist bei I. K. Hofmann, gesprochen.

arbeitsblog: Der Fachkräftemangel ist in aller Munde und beschäftigt auch Personaldienstleister/-vermittler tagtäglich – sei es in den eigenen Reihen oder aufseiten der Kunden. Welche Ansätze begegnen dieser Entwicklung Ihrer Meinung nach wirkungsvoll?

Heinz Ostermann: Im Bereich Recruiting, ob als Unternehmen oder Personalvermittler, sollte man nicht nur eindimensional, sondern mehrdimensional vorgehen. Was damit gemeint ist? Ganz einfach: Mit nur einem Rekrutierungskanal ist die Aussicht auf Erfolg kleiner, aber wenn ich in die Breite gehe, habe ich mehr Möglichkeiten – wenn ich also auf eine Mischung aus ‚Post and pray‘, indirekter und direkter Ansprache etc. setze. In diesem Zusammenhang spielt auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Sie ermöglicht es, mit der gleichen Anzahl an investierten Stunden eine größere Anzahl an potenziellen Bewerbern zu erreichen.

Quelle: 360-Grad-Studie „Barometer Personalvermittlung 2022 – Wachstumspotenziale für ein modernes Recruiting“ des Verbandsbereichs Personalvermittlung (VBPV) des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP)

arbeitsblog: Sie sind Mitherausgeber der Studie „Barometer Personalvermittlung“. Diese stellt einen 360-Grad-Blick aufs Recruiting dar und ist jetzt im dritten Jahr veröffentlicht. Können Sie Trends im Recruiting erkennen, welche Entwicklungen zeichnen sich ab?

Heinz Ostermann: Erfreulich ist, dass sich seit dem ersten Erscheinen unserer Studie im Jahre 2020 die Wertschätzung für die Personalvermittlung sowohl bei den auftraggebenden Unternehmen wie auch bei den Kandidatinnen und Kandidaten erheblich gesteigert hat. 59 Prozent der Unternehmen setzen in ihrem Recruiting bereits auf Personalvermittler und die Zufriedenheit ist sehr hoch: Mehr als Zweidrittel bewerten die Erfahrungen als sehr positiv oder eher positiv. Ähnlich sehen es auch die Kandidatinnen und Kandidaten. Fast die Hälfte der befragten Kandidatinnen und Kandidaten hat bereits eine Vermittlung in Anspruch genommen. Auch hier sind die Zufriedenheitswerte sehr hoch, etwa 76 Prozent sind zufrieden oder sehr zufrieden. Zum Thema Potenziale in der Bewerberansprache und zur Wahl der Kanäle bietet die Untersuchung ebenfalls wichtige Hinweise für die Personalvermittler.

Der Mehrwert der KI liegt aktuell vor allem darin, die Effizienz beim Recruiting zu erhöhen. Doch ich bin überzeugt, dass die Künstliche Intelligenz in Zukunft weiterentwickelt und optimiert wird – und damit einhergehend auch einen höheren Stellenwert einnehmen wird.

– Heinz Ostermann

Heinz Ostermann (©BAP, Foto: Regina Sablotny)

arbeitsblog: Inwiefern kann die Digitalisierung beim Thema Recruiting einen Mehrwert bieten? Und welchen Stellenwert räumen Sie ihr im Allgemeinen und der KI im Speziellen ein, wenn es darum geht, als Personalvermittler in der heutigen Zeit wettbewerbsfähig zu bleiben?

Heinz Ostermann: Der Mehrwert der Künstlichen Intelligenz ist aktuell vor allem folgender: Ich schaffe mit der gleichen Mannschaft mehr Kontakte und mehr Matches, als es ohne KI der Fall wäre. Doch ich muss auch klar sagen: KI ist kein Ersatz für die menschliche, emotionale Intelligenz. Wenn Sie zum Beispiel heute einen CEO eines börsennotierten Unternehmens suchen und dazu KI einsetzen, welche Vorschläge wird das System machen? Das kann ich Ihnen sagen: Es wird ältere, grauhaarige Männer im Anzug vorschlagen – aber vermutlich wenige bis keine 40-jährige Frauen. Weil die KI nämlich auf Basis dessen eine Auswahl trifft, was aktuell in der Welt am weitesten verbreitet ist. Zukünftige Trends selbstständig zu erkennen und zu analysieren, das muss das System erst noch lernen. Dass nicht unbedingt der Anzugträger mit grauen Schläfen die Zukunft eines Unternehmens repräsentieren muss, das kann die KI alleine nicht beurteilen. Hier ist der Mensch gefragt.

Nehmen wir dazu noch ein Beispiel aus der Praxis. Amazon hat in den USA KI-basiert rekrutiert. Das Ergebnis: Auf einmal wurden verstärkt kräftige Männer in einem Alter bis ca. 30, maximal 40 Jahren eingestellt. Warum war das so? Nun ja, ganz simpel: Das System hat untersucht, welcher Typ Mitarbeitender in den Jahren zuvor im Durchschnitt häufiger eingestellt wurde, und das als Basis genommen. Denn was die gängige Praxis ist, funktioniert ja offenbar.

Auf der anderen Seite: Eine KI, die gut gemacht ist, kann durchaus auch zur neutraleren Auswahl beitragen. Das finden auch die Teilnehmenden unserer Studie. So sehen Frauen im Vergleich weniger Nachteile darin, von einer KI interviewt zu werden, als Männer. Denn sie sagen: „Eine KI benachteiligt mich nicht.“

Unsere Studie zeigt ganz stark einen Wandel und die steigende Akzeptanz von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) – sowohl bei Personalvermittlern als auch bei Kandidaten. Nur Unternehmen handeln gerade in Bezug auf KI noch etwas zögerlich, doch genau hier kommen Personalvermittler ins Spiel und können neue Möglichkeiten im Recruiting aufzeigen. Zusammengefasst kann man sagen, dass der Mehrwert der KI aktuell vor allem darin liegt, die Effizienz beim Recruiting zu erhöhen. Doch ich bin überzeugt, dass die Künstliche Intelligenz in Zukunft weiterentwickelt und optimiert wird – und damit einhergehend auch einen höheren Stellenwert einnehmen wird.

In der heutigen Welt zählt das perfekte Match. Es geht um Qualität, nicht um Quantität. Lieber versende ich weniger Profile, dafür passgenauer.

– Heinz Ostermann

Quelle: 360-Grad-Studie „Barometer Personalvermittlung 2022 – Wachstumspotenziale für ein modernes Recruiting“ des Verbandsbereichs Personalvermittlung (VBPV) des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP)

arbeitsblog: Heute übernimmt die KI also vor allem einfachere Aufgaben und kann dazu eingesetzt werden, Personalvermittlern mehr Zeit fürs Wesentliche zu verschaffen?

Heinz Ostermann: So in etwa, denn der Mensch ist momentan nicht ersetzbar, doch er ist gut beraten, bereits existierende Systeme zu testen und einzusetzen – allein um die enormen Datenvolumina zu bewältigen, mit denen man heute tagtäglich arbeitet. Die Welt wird nun mal von Daten beherrscht – und wer die Datenhoheit hat, hat auch die Oberhand. Damit kommen wir auch zum eigentlichen Wert der Dienstleistung: Der Mensch – der Personalvermittler – ist als Experte gefragt, um die Daten zu analysieren und einzusetzen. Damit kann er Kandidaten und Unternehmen bestmöglich zusammenzubringen. Denn in der heutigen Welt zählt das perfekte Match. Es geht um Qualität, nicht um Quantität. Lieber versende ich weniger Profile, dafür passgenauer.

In diesem Zusammenhang freut es mich besonders, dass die Expertise der Personalvermittler eine immer höhere Anerkennung bekommt, wie auch unsere Studie zeigt. Ein für die Branche erfreuliches Ergebnis unserer Studie lautet, dass die Unternehmen neben der stärkeren Schaltung von Stellenanzeigen auf Online-Jobbörsen und der Digitalisierung von Recruiting-Prozessen künftig verstärkt auf Dienstleistungen wie Personalvermittlungen zurückzugreifen werden. Diese Aussage trafen immerhin rund ein Viertel der befragten Unternehmen. Damit unterstreichen die Ergebnisse einmal mehr: Unsere Branche kann sich durchaus stolz positionieren und sollte den eigenen Wert kennen.

arbeitsblog: Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Ostermann!


Die 360-Grad-Studie „Barometer Personalvermittlung 2022 – Wachstumspotenziale für ein modernes Recruiting“ des Verbandsbereichs Personalvermittlung (VBPV) des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister e.V. (BAP) ist kostenfrei als PDF-Download oder in gedruckter Fassung im Onlineshop unter www.bap-akademie.com/onlineshop erhältlich.

Kontakt

0911974780 info@kontext.com