03.10.2022 Redaktion arbeitsblog

„Kein einfacher Spagat – aber es lohnt sich, ihn zu meistern.“

  • Die Lünendonk-Studie „Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland“ gibt Jahr für Jahr aufschlussreiche Erkenntnisse zur aktuellen und künftigen Entwicklung der Branche. Die aktuelle Ausgabe berichtet von einem erfreulichen Wachstum.
  • Wir wollten mehr über die Hintergründe wissen und haben mit Lena Singer und Thomas Ball von Lünendonk gesprochen.
  • Im arbeitsblog-Interview gehen die beiden darauf ein, welche Trends und Herausforderungen aus Ihrer Sicht die Personaldienstleistung bestimmen werden – und wie sich Personaldienstleister zukunftsorientiert aufstellen können.

arbeitsblog: Frau Singer, Herr Ball, laut Ihrer aktuellen Studie verzeichneten 2021 alle 25 führenden Zeitarbeitsunternehmen das erste Mal seit der Finanz- und Wirtschaftskrise ein Wachstum. Wie schätzen Sie die Aussichten für die kommenden Jahre ein? Wird sich dieser Aufwärtstrend fortsetzen?

Thomas Ball: Im letzten Geschäftsjahr konnten wir einen klaren Aufholeffekt erkennen, der sich gut mit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 vergleichen lässt – auch, wenn die Ausschläge, wenn man die Wachstumskurve als Amplitude bezeichnet, damals größer waren als aktuell. Dieser Aufholeffekt ist zwar schwächer ausgefallen, als viele erwartet haben, kam allerdings auch etwas früher als von vielen erwartet, weil die Corona-bedingten Einschränkungen nicht ganz so lange angedauert haben.

Das Wachstum aller 25 führenden Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland ist maßgeblich diesem Effekt zu verdanken. Ein solch starker Zuwachs von über 20 Prozent ist im positiven Sinne unüblich. Normalerweise brechen einem Unternehmen schon eher einmal größere Kunden weg. Gerade, wenn man ein bisschen kleiner ist, wirkt sich das natürlich unmittelbar aus. Schauen wir über die aktuellen Unsicherheiten hinweg, gehen wir mit Blick auf die Zukunft schon davon aus, dass die Nachfrage nach flexiblen Arbeitskräften weiter hoch bleiben wird, und nach der Inflation auch wieder ansteigen wird. Ob wir auf das Vorkrisenniveau aus dem Jahr 2016/2017 zurückkehren werden, ist dann reine Spekulation. Denn man muss auch dazu sagen: Wir sind nicht aus einer Boomzeit in die Krise gekommen, sondern das Wachstum hatte schon zuvor nachgelassen. Wir haben in Teilsegmenten eine schärfere und eine geschäftseinschränkende Regulierung, das kam alles zur Corona-bedingten Krise hinzu.

Lena Singer: Eine Einschätzung ist aktuell auch deswegen schwer abzugeben, da wir uns jetzt doch wieder in Richtung Rezession bewegen. Auch die Zeitarbeitsunternehmen, die Quartalsberichte veröffentlichen, entwickeln sich derzeit noch recht differenziert. Manche verzeichnen wieder ordentlich Umsatzzuwächse, andere liegen im Vergleich zum Vorjahresquartal unterhalb der Werte. Hier kommt es immer darauf an, auf welche Branchen die Unternehmen spezialisiert sind. Beim produzierenden Gewerbe schauen die Konjunkturperspektiven beispielsweise wieder eher schlecht aus. Was wir aber auf jeden Fall aus der Coronazeit gelernt haben, ist, dass auch in schwierigen wirtschaftlichen Situationen flexibles Personal gebraucht wird. So sind viele Umsätze auch 2020 schon stabil geblieben.

Thomas Ball: Als wir 2021 mit vielen Zeitarbeitsfirmen darüber gesprochen haben, welche Segmente einen hohen kurzfristigen Bedarf haben könnten, wurden in der Regel immer zwei genannt: das Gastronomie- und Hotelleriegewerbe sowie die Eventbranche. Irgendwann wird der Betrieb in diesen Bereichen wieder an Fahrt aufnehmen, dann werden viele Unternehmen flexibles Personal brauchen.

Doch auch hier muss man sehr flexibel auf Bewegungen am Markt reagieren. Denn obwohl die Restaurants mittlerweile wieder gut besucht sind, merken Gastronomen, dass ihre Gäste spürbar weniger Geld ausgeben. Das Gleiche gilt für Events: Die großen Publikumsmagnete bekommen leicht das Olympia-Stadion voll, aber gerade Mittlere und Kleinere in der Branche sind von Unsicherheiten betroffen. Sie haben wenig Planungshorizont und können im Vorfeld schlecht einschätzen, wie der Ticketverkauf läuft, wenn sie ihre Events wieder starten wollen. Diese Ungewissheit ist meiner Meinung nach für uns alle nicht gut, heißt aber für die Branche natürlich, dass Unternehmen sehr geneigt sind, auf flexibles Personal zurückzugreifen, das kurzfristig bestell- und wieder abbestellbar ist.

Was wir aus der Coronazeit gelernt haben, ist, dass auch in schwierigen wirtschaftlichen Situationen flexibles Personal gebraucht wird. So sind viele Umsätze auch 2020 schon stabil geblieben.

– Lena Singer

Thomas Ball und Lena Singer (Foto: Lünendonk)

arbeitsblog: Im vergangenen Jahr zeichnete sich laut der damaligen Ausgabe Ihrer Studie ein Trend zur Konsolidierung ab: Durch Zusammenschlüsse war es mehreren Personaldienstleistern gelungen, in die Top 25 zu gelangen. Setzt sich diese Entwicklung Ihrer Einschätzung nach fort oder werden wir in der Branche nicht mehr so viel „Bewegung“ erleben?

Lena Singer: Das Beispiel, das Sie genannt haben, bezieht sich auf House of HR Germany GmbH, das durch Zusammenschlüsse einen großen Zuwachs verzeichnen konnte und prompt in der Top 10 der führenden Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland gelandet ist. [Anm. d. Red.: Hier hatten sich die Personaldienstleister Timepartner und Zaquensis zusammengeschlossen, um in Zukunft unter dem Namen Timepartner Personalmanagement GmbH unter der Muttergesellschaft House of HR zu agieren.] House of HR hat seitdem weitere Unternehmen übernommen, darunter das IT-Unternehmen Solcom und den Spezialisten fürs Gesundheitswesen Avanti. Das treibt das anorganische Wachstum in der Branche natürlich weiter voran. Aber eine große Konsolidierungswelle und eine Verdichtung des Marktes auf wenige Anbieter nehmen wir aktuell noch nicht wahr. Was wir allerdings feststellen: Personaldienstleistungsunternehmen stellen sich durch Transaktionen dieser Art aus unterschiedlichen Gründen internationaler, breiter, aber auch spezialisierter auf. Das ist auf jeden Fall eine sinnvolle Strategie, um die eigene Krisenresistenz zu stärken.

arbeitsblog: Kehren wir zurück zur aktuellen Ausgabe der Studie. Sie zeigt auf, dass Kunden vermehrt Personalvermittlung nachfragen. Der Anteil dieser Dienstleistung ist mit rund drei Prozent allerdings noch immer sehr gering. Wird sich das in Zukunft ändern? Ist Personalvermittlung das Zukunftsmodell für die Branche?

Thomas Ball: Am Gesamtumsatz der Zeitarbeitsunternehmen, der aktuell rund 31 Milliarden Euro beträgt, nimmt die Personalvermittlung einen recht überschaubaren Anteil von zwei bis drei Prozent ein. Dieser mag relativ gesehen gering sein, hat allerdings absolut zugenommen. Der Gesamtmarkt der Personalvermittlung ist schwankend und stark von der Konjunktur abhängig.

Wir sehen am Markt eine wesentliche Verschiebung, die durch den Fachkräftemangel entsteht. Um den Personalbedarf der Kundenunternehmen zu decken, gewinnen zwei Faktoren an Bedeutung: Zum einen spielt das Thema Rekrutierung eine Rolle – und hier kommt die Personalvermittlung ins Spiel. Zum anderen wird die Qualifizierung, also Aus- und Weiterbildung, immer wichtiger. Vorhandenes Personal muss für neue Anforderungen qualifiziert, Mitarbeitende für die veränderten Bedürfnisse des Arbeitsmarkts fit gemacht werden. Das kann sich durchaus gegenseitig ergänzen.

Personalberatung und -vermittlung spielen vor allem im Executive-Bereich eine wichtige Rolle, da die Personalsuche hier mit hohem Aufwand verbunden ist. Benötigen Unternehmen Mitarbeitende mit einer bestimmten Qualifikation, die am Markt nur schwer zu finden ist, sind sie zunehmend bereit, auf Personalvermittler zuzugehen. Am Ende des Tages lässt sich das auf die ganz einfache Angebots- und Nachfragedynamik herunterbrechen: Dort, wo der Bedarf in der Wirtschaft groß ist, da ist man eher bereit, zusätzlich in die Tasche zu greifen. Bei vermeintlich leicht austauschbaren Kräften wird das vermutlich weniger der Fall sein – auch in Zukunft nicht.

Aus- und Weiterbildung werden immer wichtiger. Vorhandenes Personal muss für neue Anforderungen qualifiziert, Mitarbeitende für die veränderten Bedürfnisse des Arbeitsmarkts fit gemacht werden.

– Thomas Ball

arbeitsblog: Welche weiteren Trends werden die Branche Ihrer Ansicht nach in den kommenden Jahren prägen? Digitalisierung ist derzeit noch ein wichtiges Thema – auch wenn es mittlerweile von New Work „überschattet“ wird. Gibt es Trends, die Personaldienstleister auf keinen Fall verschlafen dürfen?

Lena Singer: Digitalisierung zählt auf jeden Fall zu den wichtigsten Trends. Damit beschäftigen sich wirklich so gut wie alle Unternehmen, die den Anschluss nicht verpassen wollen. Vor allem Automatisierung von internen Prozessen wird immer wichtiger, da der Fachkräftemangel auch Personaldienstleister selbst betrifft – auch sie müssen ihre internen Mitarbeitenden entlasten. Wenn diese sich statt auf den Verwaltungsprozess umso intensiver auf Kandidaten und Kunden konzentrieren können, stellt das einen enormen Gewinn für die Branche dar. Denn letztendlich bleibt das Recruiting an und für sich ein People Business.

Ein weiteres Thema ist wie bereits erwähnt Weiterbildung beziehungsweise Qualifizierung. Auch hier nehmen wir den Trend wahr, dass Zeitarbeitskräfte bereits vor Beginn der Tätigkeit oder währenddessen Fortbildungsmaßnahmen besuchen, um dann zum Teil in Fachkräftelücken treten zu können, in denen der demografische Wandel noch mehr greift.

Thomas Ball: Im Zusammenhang mit dem Thema Digitalisierung ist es mir noch wichtig zu ergänzen: Digitalisierung wird ja immer mal wieder als Lösung für alle Probleme gehypt. Das sehen wir nicht ganz so. Für uns ist es mehr eine Basistechnologie, damit Unternehmen die begrenzten Ressourcen, die sie haben und die der Markt ihnen zugesteht, möglichst individuell einsetzen können. Einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren, auch mit Blick auf die letzte Krise, ist es, die eigene, interne Kompetenz nicht aus den Augen zu verlieren. Denn der Markt und die Kunden legen gesteigerten Wert darauf, dass der Dienstleister sie und ihre besonderen Anforderungen kennt und dementsprechend gute Qualität bietet. Das ist besonders entscheidend für das Matching des Personals. Da braucht es eine solide Beratungsleistung und das Gefühl, den Kunden verstanden zu haben, was eine Maschine auf absehbare Zeit nicht zufriedenstellend lösen kann.

Damit wird man zwar nicht automatisch reich, aber das ist immer etwas, was der Markt auch honoriert. Nur wenn der Kunde zufrieden mit der bisherigen Personalvermittlung ist und bei Bedarf auch nach einer Arbeitskraft in Festanstellung fragt, kann man dauerhaft und opportunistisch in einer richtigen Kunden-Dienstleister-Beziehung wachsen. Gerade im mittelständischen Bereich, wo es viel um den Handschlag zwischen ehrbaren Kaufleuten geht, sollten solche verlässlichen Werte im Zuge von Technologisierung und Digitalisierung nicht vernachlässigt werden.

Nichtsdestotrotz, wenn man sich nur auf die alten Tugenden besinnt und nicht mit der Technologie Schritt hält, brechen den Unternehmen irgendwann die Kunden weg, da Sie Personal brauchen, das sich in Systeme einarbeiten können muss. Das ist kein einfacher Spagat, aber es lohnt sich, ihn zu meistern.

arbeitsblog: Frau Singer, Herr Ball, herzlichen Dank für das aufschlussreiche und informative Gespräch!

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