05.03.2024

„Für die Situation in der Pflege wird ein Verbot der Zeitarbeit nicht förderlich sein.“

  • Der Fachkräftemangel in der Pflege ist ein allgegenwärtiges Thema. Immer mehr Beschäftigte wechseln zur Zeitarbeit, da sie dort teilweise bessere Konditionen und mehr Sicherheiten bekommen.
  • Für die Einrichtungen wiederum ist Zeitarbeit ein zweischneidiges Schwert. Denn sie trägt zur Entlastung der Stammbelegschaft bei, verursacht jedoch gleichzeitig höhere Kosten. In der Folge wird die Diskussion rund um ein mögliches Verbot der Zeitarbeit in der Pflege immer wieder angefacht.
  • Andreas Eichler ist als Fachpflegekraft in der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt und teilt seine Beweggründe, in die Zeitarbeit zu wechseln.

arbeitsblog: Herr Eichler, Sie sind seit über 26 Jahren Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin. Was hat Sie Anfang des Jahres dazu bewegt, auf die Seite der Arbeitnehmerüberlassung zu wechseln?

Andreas Eichler: Zum einen hat sich die Pflege in den letzten Jahren in eine Richtung entwickelt, die ich nicht mehr gutheißen konnte. Es wurden in den Einrichtungen immer mehr Stellen abgebaut und die Pflege zusehends als Kostenfaktor empfunden – nicht als Teil des Heilprozesses, wie es beispielsweise in anderen Ländern der Fall ist. Hinzu kam, dass der Druck von oben immer größer wurde. Die Arbeitnehmerüberlassung war eine Option, dem Ganzen zu entfliehen. Natürlich spielt das Geld auch eine gewisse Rolle. Doch ich habe vor allem mit dem Hintergedanken gewechselt, eine neue Einrichtung zu finden, die mir besser gefällt und in der ich mehr Selbstbestimmung habe. Denn tatsächlich hat mir die Pandemie vor Augen geführt, wie wir in der Gesellschaft angesehen werden. Wir sind nichts anderes als Erfüllungshilfen. Das Problem ist, dass die Menschen nicht sehen, mit welchem Aufwand die Pflege kranker Menschen verbunden ist.

arbeitsblog: Sind Sie in der Zeitarbeit auch mit Herausforderungen konfrontiert?

Andreas Eichler: Absolut! Man kommt immer in gewachsene Strukturen rein. Die Arbeitsabläufe können anders sein. Sich dort zu orientieren und herauszufinden, wie die Kolleg*innen und Ärzt*innen zusammenarbeiten, ist eine Herausforderung. Gerade Kolleg*innen in meinem Alter sind oft gefrustet, wenn von außen jemand Neues ins Team kommt, der vielleicht mehr verdient. Die größte Herausforderung ist aber das Arbeitsumfeld. Am Anfang ist alles neu und man muss noch viel suchen – beispielsweise weiß man am Anfang noch nicht, wo genau welche Materialien gelagert sind. Das Wichtige dabei ist, sich abzusichern und gerade für Notfallsituationen gerüstet zu sein.

arbeitsblog: Wie gehen Sie damit um, in verschiedenen Pflegeeinrichtungen eingesetzt zu sein? Ist es für Sie schwer, sich an die neue Einrichtung und an das Team anzupassen oder haben Sie bestimmte Strategien dafür?

Andreas Eichler: Grundsätzlich gehe ich freundlich und offensiv vor. Lieber stelle ich mich bei den neuen Kolleg*innen dreimal vor und frage häufiger nach, als zu versuchen, irgendwas im Alleingang zu bewältigen – auch, wenn die Leute dann genervt sind. Es geht nicht anders, weil ich sonst in Akutsituationen Schwierigkeiten bekomme. Ansonsten wende ich den Bettplatzcheck an. Dabei schaue ich mir alles genau an und kontrolliere meinen Arbeitsplatz. So kann ich sicher gehen, dass ich auch immer finde, was ich suche, wenn ich es brauche.

Die Arbeitnehmerüberlassung kann eine Option sein, dem Druck in der Festanstellung zu entfliehen.

Andreas Eichler

arbeitsblog: Wenn Sie an die Unterschiede zu einer Festanstellung denken, gibt es was, das Ihnen im Alltag auffällt? Man hört immer, dass die Planungssicherheit viel größer ist und man nicht spontan zu Diensten gerufen wird. Stimmt das?

Andreas Eichler: Ich persönlich mache alle Schichten, allerdings nicht mehr als 130 Stunden im Monat. Es gibt aber auch Kolleg*innen – ich denke da an Mütter, Alleinerziehende usw. –, die nur Tagdienst machen können. Für sie trifft es absolut zu. Da vermisse ich die Flexibilität der Kliniken. Teilweise wird es immer noch verlangt, dass man alle Schichten macht und zwei Wochenenden abdeckt, wenn man nur Teilzeitkraft ist. Es gibt aber auch Sicherheiten in der Festanstellung: Ich kann meinen Urlaub eintragen und muss mir keine zusätzlichen Gedanken machen. In der Arbeitnehmerüberlassung geht das nicht. Hier muss ich schauen, wo und wie lange ich in einer Einrichtung eingesetzt bin. Wenn es nur einen Monat ist, kann ich nicht zwei Wochen davon Urlaub nehmen.

arbeitsblog: Denken Sie, das Thema Wertschätzung ist eins der zentralen Probleme in der Pflege? Was sind Ihrer Meinung nach andere zentralen Probleme?

Andreas Eichler: Das Thema Wertschätzung geht schon mit der Ausbildung einher. Deutschland ist eins der wenigen Länder, in denen die Pflege nicht akademisiert ist. Doch ich habe auch fünf Jahre Ausbildung gemacht und musste eine Facharbeit schreiben sowie ein praktisches, schriftliches und mündliches Examen machen. Ein großes Problem liegt in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Solange wir an Fasching im Krankenschwesterkostüm rumlaufen, wird sich daran nichts ändern. Wir werden nicht als Teil des Heilerfolgs gesehen. Doch es ist durch Studien aus dem Ausland, wohlgemerkt, belegt, dass einige Tätigkeiten in der Pflege zum Beispiel zu einem kürzeren Krankenhausaufenthalt führen.

arbeitsblog: Ein heiß diskutiertes Thema in der Branche ist aktuell, ob ein Verbot der Zeitarbeit in der Pflege sinnvoll wäre. Laut einer Kurzstudie vom Institut der deutschen Wirtschaft geben 55 Prozent von 4.000 Befragten an, dass sie den Tätigkeitsbereich wechseln würden, sollte Zeitarbeit in der Pflege abgeschafft werden. Elf Prozent würden Ihre Arbeit sogar ganz aufgeben. Sollte solch ein Verbot durchgesetzt werden, würden Sie trotzdem in der Pflege bleiben und warum?

Andreas Eichler: Zunächst einmal glaube ich nicht daran, dass ein Verbot umgesetzt werden kann. Denn speziell in der Pflege werden Mitarbeitende in der Zeitarbeit nicht ausgenutzt – ganz im Gegenteil. Sollte es jemals doch soweit kommen, wird es für mich wahrscheinlich wieder eine Festanstellung werden, da ich meinen Beruf mag. Dennoch werden Motivation und Engagement ganz anders sein als vorher.

Abschließend möchte ich noch einige Dinge ansprechen, die mir am Herzen liegen: Grundsätzlich stelle ich das gesamte Gesundheitssystem in Frage. Hier haben wir das Problem, dass sich einige quasi aus der Gesellschaft herausnehmen und sich privat versichern lassen. Ob man für oder gegen dieses System ist, sei an dieser Stelle erst einmal dahingestellt. Doch wenn sich diese Menschen später einmal wieder anstellen und gesetzlich versichern lassen, hebeln sie das System aus.

Ein weiterer Punkt, über den kaum gesprochen wird: ärztliches Personal. Etwa zwei Prozent der Ärzt*innen hierzulande sind Honorarkräfte. In der Pandemie aber hatten wir auf einmal kaum Notärzt*innen. Warum? Weil viele lieber für 150 Euro die Stunde geimpft haben, als für 20 Euro abrufbereit zu sein – was auch vollkommen klar ist. Uns Pfleger*innen wird aber vorgeworfen, dass wir viel Geld machen wollen.

Zuletzt will ich noch mal betonen: Im Allgemeinen sollte der Ausbildung viel mehr Wert zukommen, als es momentan der Fall ist. Es gibt ja mittlerweile eine generalistische Ausbildung, in der alle zuvor vorhandenen Fachrichtungen – Kinder-, Altenpflege etc. – zusammengeführt wurden. Das hat verschiedene Gründe, ist aber ein großer Einschnitt. Nicht zuletzt deswegen, weil die Dauer der Ausbildung bei drei Jahren belassen und nicht erhöht wurde.

arbeitsblog: Das klingt tatsächlich so, als gibt es in der Pflege grundsätzlich viele Baustellen, die weit über den Aspekt der Zeitarbeit hinausgehen. Wir sind gespannt, was die Zukunft noch bringt. Ihnen vielen Dank für das Gespräch, Herr Eichler!


Andreas Eichler

Andreas Eichler ist seit über 26 Jahren Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin. Nachdem er seine gesamte Karriere am Universitätsklinikum in Erlangen verbracht hat, ist er im April 2023 in die Arbeitnehmerüberlassung gewechselt.

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