Es geht um die Wurst – Aktenzeichen 4 V 33/21
Vor Kurzem hat das Finanzgericht Hamburg im Rahmen eines Eilverfahrens zugunsten eines norddeutschen Wurstherstellers entschieden: Dieser darf nun weiterhin Zeitarbeitskräfte einsetzen. Aus Sicht des Branchenexperten Edgar Schröder ist das allerdings noch lange keine grundlegende „Joker-Funktion“ für die Zeitarbeit.
Seit dem 1. April 2021 gilt das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie (§ 6a GSA Fleisch). Dagegen erheben vier Zeitarbeitsunternehmen Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Viel spannender ist allerdings die aktuelle Nachrichtenlage: „Gericht kappt Fleischgesetz“ oder „Wursterzeuger dürfen weiter Fremdpersonal beschäftigen“ lauten die Schlagzeilen.
Was ist passiert?
Das Finanzgericht Hamburg hat in einem Eilverfahren zugunsten eines norddeutschen Wurstherstellers entschieden. Da die Antragstellerin, ein familiengeführtes Unternehmen, das Wurstprodukte aller Art herstellt, ihr Personal überwiegend in Bereichen einsetze, die nicht als Fleischverarbeitung anzusehen seien, unterliegen die beschäftigten Zeitarbeitnehmer nicht dem Fremdpersonalverbot.
Aus Unternehmersicht reflexartig zu schlussfolgern, den Personaldienstleistern sei dadurch das Einfallstor für den Transfer ihrer Zeitarbeitnehmer in die Fleischbetriebe weit geöffnet, ist meines Erachtens verfrüht und enorm risikobehaftet.
Zu den Hintergründen des Gerichtsbeschlusses:
Das Finanzgericht Hamburg ist in Zoll- und Marktordnungsverfahren für die Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen zuständig. Der in Niedersachsen ansässige Wursthersteller wollte vorläufig feststellen lassen, dass er keinen Betrieb der Fleischwirtschaft führe und somit weder dem Fremdpersonalverbot des § 6a GSA Fleisch noch der Kontrollbefugnis der Zollverwaltung gemäß § 6b GSA Fleisch unterliege. Hinsichtlich der behördlichen Kontrollbefugnis blieb der Eilantrag übrigens erfolglos.
Die zentrale Feststellung im vorliegenden Fall liegt in den betrieblichen Arbeitsprozessen begründet. Spiegel-Online zitiert den Präsidenten des Finanzgerichts, Christoph Schoenfeld wie folgt (a.a.O.): „Der Workflow ist entscheidend.“ So habe der Zollsenat des Gerichts Bildmaterial ausgewertet, das die Arbeitsabläufe in dem Betrieb dokumentiere.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Unternehmer gut beraten, diesen Gerichtsbeschluss sowie diverse Berichte dazu nicht überzubewerten. Für mich verfügt diese Entscheidung keineswegs über eine grundlegende „Joker-Funktion“!
Für unternehmerische Entscheidungsträger und Experten signalisiert die offizielle Pressemitteilung 1/2021 vom 31. Mai 2021 unter dem Abschnitt „Wesentliche Erwägungen des Gerichts: …“ ansatzweise den ersten Erkenntnisgewinn zu der Begrifflichkeit *Fleischverarbeitung*. Die gerichtliche Entscheidung mit seiner Begründung „on detail“ ist allerdings bis dato (Stand: 20.06.2021) noch nicht veröffentlicht. Zu diesem „Pilotverfahren“ ist die Beschwerde zum Bundesfinanzhofs (BFH) statthaft. Dementsprechend wird sich also der BFH höchstrichterlich mit der Frage beschäftigen, ob nach der Versiegelung des Nahrungsmittels erfolgende Arbeitsschritte nicht unter den Betriff der Fleischverarbeitung fallen, beispielsweise die Zusammenstellung und weitere Verpackung der Nahrungsmittel zum Versand oder Verkauf. Zudem wird voraussichtlich höchstrichterlich geklärt werden, ob Tätigkeiten, die nicht unmittelbar am Fleischprodukt selbst erfolgen, wie kaufmännische Hilfstätigkeiten (bspw. Etikettierung), Tätigkeiten der Lagerung (Kommissionierung) oder Reinigungsarbeiten, generell außen vor bleiben, also nicht vom Fremdpersonalverbot erfasst werden.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Unternehmer gut beraten, diesen Gerichtsbeschluss sowie diverse Berichte dazu nicht überzubewerten. Für mich verfügt diese Entscheidung keineswegs über eine grundlegende „Joker-Funktion“!
Hier bereits den vermeintlichen „Silberstreif am Horizont“ zu proklamieren und die Akquise von Kundeneinsätzen für Zeitarbeitnehmer in den Fleischbetrieben zu befeuern, halte ich für sehr gewagt.
Vorsorglich der ergänzende Hinweis, dass der zwischenzeitlich erfolgte Tarifabschluss zwischen der Fleischindustrie und der Einzelgewerkschaft NGG noch längst nicht den Freifahrtschein für die gesetzeskonforme beschränkte Arbeitnehmerüberlassung bedeutet.
Der Tarifvertrag muss erst mal final ausgefertigt und veröffentlicht werden. Er bedarf zudem der offiziellen Tarifvertragsregisternummer gemäß § 1 Abs. 1 Ziffer 13 Verordnung über die Anzeigepflicht von Leiharbeit in der Fleischwirtschaft (ALFV).
Das ist Bürokratieabbau ad absurdum!
Edgar Schröder
Edgar Schröder ist Geschäftsführer der ES Edgar Schröder Unternehmensberatungsgesellschaft für Zeitarbeit mbH und ein Mann der Praxis. Seit er sein Studium zum Diplom-Verwaltungswirt an der Fachhochschule der heutigen Bundesagentur für Arbeit im Jahr 1986 abgeschlossen hat, beschäftigt er sich in unterschiedlichen Funktionen und Führungspositionen mit dem Thema „Arbeitnehmerüberlassung“.