02.03.2020 Alexander Bissels

Equal Pay: Wann darf vom Gleichstellungsgrundsatz abgewichen werden?

  • Dr. Alexander Bissels, Partner bei CMS Hasche Sigle, befasst sich mit dem Thema Equal Pay und geht dabei insbesondere der Frage nach, in welchen Fällen von der Gleichstellungspflicht abgewichen werden kann
  • Eines dieser Szenarien: Unterliegen Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer einer beiderseitigen, übereinstimmenden Tarifbindung, kann von der Gleichstellungspflicht abgewichen werden – solange es nicht zur Unterschreitung der nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte kommt. Bei der Gleichstellung hinsichtlich des Entgelts gilt dies grundsätzlich nur bis zur Vollendung des neunten Einsatzmonats bei einem Kunden
  • Zur korrekten, rechtssicheren Bestimmung von Equal Pay rät Dr. Bissels den Zeitarbeitsunternehmen, die relevante Entgeltstruktur der Kunden per Fragebogen in Erfahrung zu bringen. Diese würden von der überwiegenden Anzahl der Entleiher inzwischen ‚ohne Murren‘ ausgefüllt werden

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) hat mit Wirkung zum 1. April 2017 (erneut) eine erhebliche Anpassung erfahren. Gesetzgeberisch intendiert sollte die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre Kernfunktion, nämlich zur zeitlich begrenzten Deckung eines bei dem Kunden bestehenden Arbeitskräftebedarf, begrenzt und Scheinwerk- beziehungsweise Dienstverträge in ihrer Erscheinung als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vermieden werden. Zu diesem Zweck die wurde Abweichungsmöglichkeit vom Gleichstellungsgrundsatzes hinsichtlich des Entgelts zeitlich beschränkt.

Gleichstellungspflicht versus Tarifvertrag
Nach § 8 Abs. 1 AÜG hat der Zeitarbeitnehmer gegen den Personaldienstleister grundsätzlich einen Anspruch auf die im Betrieb des Kunden für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts. Von der Gleichstellungspflicht kann durch einen Tarifvertrag abgewichen werden, soweit nicht die nach § 3a Abs. 2 AÜG festgesetzten Mindeststundenentgelte unterschritten werden (§ 8 Abs. 2 S. 1 AÜG). Dafür ist eine beiderseitige, übereinstimmende Tarifbindung von Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer erforderlich. Soweit der Gleichstellungsgrundsatz durch einem solchen Tarifvertrag abbedungen wird, hat das Zeitarbeitsunternehmen die nach diesem Tarifvertrag geschuldeten Arbeitsbedingungen zu gewähren (§ 8 Abs. 2 S. 2 AÜG). Im räumlichen, zeitlichen und fachlichen Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags können nach § 8 Abs. 2 S. 3 AÜG nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren; von dieser Möglichkeit wird aufgrund des geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in der Zeitarbeitsbranche in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht.

Von den Bestimmungen des Equal Pay beziehungsweise Equal Treatment konnte bis zum 31. März 2017 zeitlich unbegrenzt durch einen wirksamen Tarifvertrag oder eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf diesen zu Lasten des Zeitarbeitnehmers abgewichen werden; dies war in der Praxis die Regel. Seit dem 1. April 2017 ist eine Abweichung von Equal Pay grundsätzlich nur noch für die ersten neun Monate des Einsatzes des Zeitarbeitnehmers bei einem Kunden möglich (§ 8 Abs. 4 S. 1 AÜG).

Nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer können die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren. Von dieser Möglichkeit wird aufgrund des geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in der Zeitarbeitsbranche in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht.

– Alexander Bissels beobachtet in der Praxis:

Eine über den vollendeten neunten Einsatzmonat bei dem Kunden hinaus andauernde Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz ist hinsichtlich des Arbeitsentgelts nur noch möglich, wenn für das Arbeitsverhältnis ein Branchenzuschlagstarifvertrag gilt, der nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung des Arbeitsentgelts an das vergleichbare tarifvertragliche Arbeitsentgelt in der Einsatzbranche vorsieht (§ 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AÜG). Dabei haben die sachnahen Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit das gleichwertige tarifvertragliche Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festzulegen. Dieses müssen die Zeitarbeitskräfte spätestens nach 15 Monaten erreichen (§ 8 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 AÜG).

„Gleichwertig“ meint nicht zwingend objektiv „gleich hoch“
Derartige, von den Arbeitgeberverbänden der Zeitarbeit (BAP und iGZ) mit den einzelnen DGB-Gewerkschaften geschlossene Branchenzuschlagstarifverträge gelten bereits jetzt im zahlreichen Bereichen, etwa in der Metall- und Elektroindustrie und der Chemie; diese sind inzwischen an die neuen gesetzlichen Erfordernisse angepasst werden, indem dort unter anderem eine sechste Zuschlagsstufe nach dem vollenden 15. Einsatzmonat vorgesehen worden ist. Dabei dürften es die gesetzlichen Vorschriften auch ermöglichen, dass durch die Anwendung der Branchenzuschläge in der letzten Stufe der tariflichen Näherung (also nach 15 Monaten) an das gesetzlich vorgesehene Equal Pay keine vollkommene Lohngleichheit eintreten muss. Den Tarifvertragsparteien bleibt es vorbehalten, eine Vergütung zu definieren, die mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche als „gleichwertig“ anzusehen ist. Dabei haben diese einen weiten Gestaltungs- und Ermessensspielraum, der dergestalt genutzt werden kann, einen Betrag festzulegen, der – wie in den gegenwärtig geltenden Branchenzuschlagstarifverträgen vorgesehen – zumindest bis zur Vollendung des 15. Einsatzmonats – unter 100 Prozent des Vergleichsentgelts liegt (in der Regel bei maximal 90 Prozent). „Gleichwertig“ meint nicht zwingend objektiv „gleich hoch“. Die Festlegung darf dabei allerdings nicht offensichtlich und grob ungleich gewichtet sein; dies kann von den Behörden und Gerichten im Rahmen einer Evidenzprüfung kontrolliert werden. Erfüllt ein Branchenzuschlagstarifvertrag nicht die Erfordernisse des § 8 Abs. 4 S. 2 AÜG, ist dieser zumindest als Tarifvertrag i.S.v. § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG zu qualifizieren. In letzter Konsequenz sind dem Zeitarbeitnehmer in den ersten neun Monaten des Kundeneinsatzes die vorgesehenen Branchenzuschläge zu gewähren, danach gilt der zwingende gesetzliche Gleichstellungsgrundsatz hinsichtlich des Entgelts.

Wichtig ist, dass sich der Personaldienstleister rechtzeitig darum bemüht, die für die Bestimmung von Equal Pay erforderlichen Informationen über die relevante Entgeltstruktur von den Kunden zu erhalten, indem von diesem die entsprechenden Fragebögen ausgefüllt und unterzeichnet werden.

– Alexander Bissels empfiehlt die Nutzung von Fragenbögen:

Die konkrete und insbesondere korrekte Bestimmung des gesetzlichen Equal Pay mag zwar aufgrund der Vielgestaltigkeit und der Komplexität der auf Kundenseite existierenden Vergütungsmodelle nach wie vor mit gewissen (und zwar nicht unerheblichen) Unsicherheiten behaftet sein. Wichtig ist jedoch, dass sich der Personaldienstleister rechtzeitig darum bemüht, die für die Bestimmung von Equal Pay erforderlichen Informationen über die relevante Entgeltstruktur von den Kunden zu erhalten, indem von diesem die entsprechenden (in der Regel vom Zeitarbeitsunternehmen übermittelten) Fragebögen ausgefüllt und unterzeichnet werden. Eine anfängliche Skepsis auf Kundenseite, dass die von den Personaldienstleistern abgefragten Informationen nur dem Zweck hatten, sich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu verschaffen, ist inzwischen einer Routine und der damit einhergehenden Erkenntnis gewichen, dass die Erfassung der Daten kein Selbstzweck, sondern zur rechtskonformen Umsetzung des AÜG zwingend notwendig ist.

Fazit

Die überwiegende Anzahl der Kunden füllt die von den Personaldienstleistern bereitgestellten Fragebögen inzwischen ‚ohne Murren‘ aus. Wird auf dieser Grundlage das Equal Pay berechnet und abgebildet, ist das Zeitarbeitsunternehmen bereits auf einem guten Weg, auch entsprechende Prüfungen der BA ohne Beanstandungen zu überstehen, wenn und soweit die Angaben umfänglich und vollständig sowie nicht offenkundig unrichtig sind. In diesem Fall werden die Informationen in den Fragebögen von der Behörde nicht weiter geprüft oder hinterfragt. Dies schützt den Personaldienstleister freilich nicht davor, dass ein Zeitarbeitnehmer (dennoch) die korrekte Abwicklung von Equal Pay in Abrede stellt und gegebenenfalls eine Klage auf eine Nachzahlung erhebt; derartige Fälle dürften in der Praxis aber die Ausnahme darstellen.


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