Edgar Schröder: Corona-Ausbruch bei Tönnies schadet seriöser Zeitarbeit immens
- Edgar Schröder hält die aktuelle öffentliche Empörung über die skandalöse Ausbeutung der in den Schlachtbetrieben beschäftigten Menschen für scheinheilig. Denn: „Neu sind diese Erkenntnisse nicht.“ Jahrelang hätten Politik und Gesellschaft weggeschaut und in den Medien publizierte Sachverhalte schlicht ignoriert
- Die von Bundesarbeitsminister Heil angekündigten Verbote der Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie zielen für Schröder aber erkennbar über das Ziel hinaus. Hierbei gehe es offensichtlich um mehr als die Durchsetzung zwingender deutscher Arbeitsgesetze sowie Hygienestandards
- Aufgrund des Corona-Ausbruchs beim Fleischkonzern Tönnies werde das Verbot von Zeitarbeit in der Fleischindustrie aber wahrscheinlich durchgesetzt, befürchtet Edgar Schröder: „Die führenden politischen Köpfe der GroKo sind offenkundig einhelliger Meinung und werden das Gesetzesvorhaben ungeachtet aller verfassungs- und europarechtlicher Bedenken ‚durchpeitschen‘.“
Die aktuelle Berichterstattung in den Medien sowie die Stellungnahmen vieler Politiker brandmarken die Beschäftigung von Werkvertragsarbeitnehmern in der Fleischindustrie. Unverständlicher Weise wird im gleichen Atemzug die – Achtung: „Leiharbeit“ – eins zu eins mit den miserablen Arbeitsbedingungen und Wohnunterkünften der osteuropäischen Menschen verknüpft. So fordert beispielsweise der Journalist Andreas Niesmann in seinem Leitartikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 19. Juni 2020, dass „die Leiharbeit so schnell wie möglich beendet werden [sollte].“
Fakt ist allerdings, dass nur relativ wenige Zeitarbeitnehmer in den Schlacht- und Zerlegebetrieben eingesetzt werden. Die Antwort der Bundesregierung aus dem März 2020 auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion zu den Werkverträgen in der Fleischindustrie zeigt sehr deutlich auf, dass die Politik tatsächlich über keinerlei strukturierten Überblick verfügt, auszugsweise Wiedergabe:
„Der Bundesregierung liegen daher keine Angaben über die Anzahl der Personen vor, die als Arbeitskräfte eines Werkvertragsunternehmens bei einem anderen Unternehmen (dem Werkbesteller) tätig sind. […] Die Bundesregierung hat keine Kenntnis darüber, ob die Arbeitsbedingungen von Kern- und Randbelegschaften in der Fleischindustrie stark voneinander abweichen. […] Der Bundesregierung liegen keine Zahlen darüber vor, in wie vielen Fällen in der Fleischindustrie in den Jahren 2008 bis 2019 von der Deutschen Rentenversicherung und der FKS Kontrollen von Werkverträgen im Rahmen ihrer Prüfungen bei den Arbeitgebern vorgenommen wurden.“
Scheinheilige Empörung
Die Empörung über die skandalöse Ausbeutung der in den Schlachtbetrieben beschäftigten Menschen ist scheinheilig! Denn neu sind diese Erkenntnisse nicht. Jahrelang haben Politik und Gesellschaft weggeschaut beziehungsweise in den Medien publizierte Skandal-Sachverhalte schlicht ignoriert.
Behördliche Kontrollen der Arbeitsbedingungen waren in der Vergangenheit in der Fleischbranche offenkundig nicht erfolgt. Oder in ihrer Wirkung nicht zielführend, weil keine abschreckenden Sanktionen mit hohen Bußgeldern beziehungsweise Freiheitsstrafen daraus resultierten.
Mit den vom Bundestag am 18. Juni 2020 beschlossenen Neuregelungen zum Arbeitnehmerentsendegesetz können zukünftig unter anderem die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Werkvertragsarbeitnehmer schärfer kontrolliert werden. Unterkünfte für ausländische Arbeitnehmer müssen dann den Mindeststandards der Arbeitsstättenverordnung entsprechen. Kosten für Unterkunft, Reisekosten oder Verpflegung dürfen EU-Arbeitgeber nicht ihren nach Deutschland entsandten Arbeitskräften auferlegen. Entsendebedingte Kosten sollen deshalb grundsätzlich vom Arbeitgeber nach den Regeln in ihrem Herkunftsland getragen werden. Zudem muss auch nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern die Erstattung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten gezahlt werden, wenn sie innerhalb Deutschlands vorübergehend nicht an ihrem Wohnort eingesetzt werden.
Dieses Umsetzungsgesetz muss am 3. Juli 2020 noch durch den Bundesrat, damit es, wie geplant, zum 30. Juli 2020 in Kraft treten kann. Unwürdige Bedingungen für Fremdarbeitnehmer, egal in welcher Branche, dürfte es dann in Deutschland (eigentlich) nicht mehr geben.
Mehrausgaben für zusätzlich benötigtes Personal in der Zollverwaltung
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit FKS hat in ihrer schriftlichen Stellungnahme im Zuge der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen im zurückliegenden Gesetzgebungsverfahren sehr aufschlussreich die komplexen Anforderungen für die Prüfer beklagt. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages weist darauf hin, dass durch das Gesetz in den ersten vier Jahren nach Inkrafttreten Ausgaben in Höhe von insgesamt rund 367.304.000 Euro, insbesondere für zusätzlich benötigtes Personal in der Zollverwaltung, entstehen.
Nach meinem Verständnis müssen die zuständigen Behörden flächendeckend und zielführend in der Fleischindustrie prüfen.
Die von Bundesarbeitsminister Heil angekündigten Verbote der Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung zielen erkennbar über das Ziel der Durchsetzung zwingender deutscher Arbeitsgesetze sowie Hygienestandards hinaus.
Die von Bundesarbeitsminister Heil angekündigten Verbote der Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung zielen erkennbar über das Ziel der Durchsetzung zwingender deutscher Arbeitsgesetze sowie Hygienestandards hinaus. Auch die heruntergekommenen Arbeiterunterkünfte haben doch nichts mit den Werk- oder Überlassungsverträgen als solches zu tun. Da sind die kommunalen Behörden sowie Gesundheitsämter gefordert, die Arbeits- und Lebensbedingungen der nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer sicherzustellen, damit das Infektionsrisiko mit Covid-19 sinkt und zudem ausbeuterischer Mietwucher drakonisch bestraft wird.
Wursthersteller wehren sich gegen Generalverdacht
Unverständlich ist zudem der undifferenzierte Generalverdacht, der in der Öffentlichkeit vorherrscht. Der bayerische Wursthersteller Wolf stellt vehement klar, dass er wie auch andere Wursthersteller sich von den Schlacht- und Zerlegebetrieben deutlich unterscheiden und distanzieren: „Wir kaufen lediglich das Material, sind also die nachgelagerte Stufe. Das ist ein völlig anderes Geschäft. Zustände, wie sie jetzt angeprangert werden, gibt es bei uns nicht.“
Die Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion vom 16. Juni 2020 zu den Arbeitsbedingungen und der Epidemiebetroffenheit in der Fleischwirtschaft signalisiert meines Erachtens vernunftmäßige Denkanstöße in Richtung Gesetzgeber, auszugsweise Wiedergabe:
- 17. Geht die Bundesregierung davon aus, dass das Verbot von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung einen Beitrag zur Sicherung des Arbeitsschutzes leisten kann, wenn ja, aus welchen Gründen?
- 18. Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Arbeitsschutzvorschriften in den Schlachthöfen unabhängig davon gelten, ob ein Arbeitnehmer beim Schlachthof selbst angestellt ist, ob er als Leiharbeitnehmer tätig wird oder auf Grundlage eines Werkvertrags?
- 27. Wie steht die Bundesregierung zu den am 23. Mai 2020 geäußerten Vorschlägen, die nun für die Fleischwirtschaft beabsichtigen Regelungen, insbesondere das Verbot von Werkverträgen und von Arbeitnehmerüberlassung, auf andere Branchen zu erstrecken?
- 28. Falls die Bundesregierung nicht die Absicht hat, die in Frage 26 genannten Vorschläge umzusetzen, warum beabsichtigt sie nicht, diese Regelungen auf andere Branchen zu erstrecken?
- 30. Wo sieht die Bundesregierung ggf. Unterschiede, die eine gesetzliche Ungleichbehandlung der verschiedenen Branchen rechtfertigen?
- 31. Wie beurteilt die Bundesregierung die verfassungs- und europarechtliche Zulässigkeit der in den Eckpunkten vereinbarten Regelungen?
- 32. Ist eine entsprechende Prüfung des in Frage 30 genannten Sachverhalts seitens der Bundesregierung vorgenommen worden, wenn ja, wo ist diese Prüfung dokumentiert?
- 33. Falls die Bundesregierung die in den Eckpunkten vereinbarten Regelungen für verfassungs- und europarechtskonform hält, ist der Bundesregierung bekannt, dass nach der Feststellung der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages die weit überwiegende Ansicht der rechtswissenschaftlichen Literatur von einer Europarechtswidrigkeit des aktuellen Verbots der Arbeitnehmerüberlassung gewerblicher Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft ausgeht, wie bewertet sie dies und welche Schlüsse zieht sie da raus bezüglich ihrer in den Eckpunkten vereinbarten Maßnahmen?
Auf die Antworten der Bundesregierung zu dem umfangreichen Fragenkatalog bin ich sehr gespannt.
Corona-Ausbruch bei Tönnies ändert alles
In meinem letzten arbeitsblog-Beitrag war ich voller Zuversicht, dass das Verbot von Zeitarbeit in der Fleischindustrie scheitern würde. Zitat aus meinem Fazit:
„Ich vertraue den Prinzipien unseres Rechtstaates. Im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren müssten Bundestag und Bundesrat den kompletten Ausschluss von Werkvertrags- und Zeitarbeitnehmern in der Fleischindustrie zustimmen. Das Prinzip der freien Marktwirtschaft auf Basis des Grundgesetzes wird nach meiner Einschätzung hier obsiegen. Bedeutet: Das geplante sektorale Verbot der Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassungen wird mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern!“
Diese Einschätzung muss ich leider aufgrund des Corona-Ausbruchs mit über 1.500 Virus-Infizierten beim Fleischkonzern Tönnies und dem daraufhin verhängten Shutdown in den Kreisen Gütersloh und Warendorf revidieren. Die führenden politischen Köpfe der GroKo sind offenkundig einhelliger Meinung und werden das Gesetzesvorhaben ungeachtet aller verfassungs- und europarechtlicher Bedenken ‚durchpeitschen‘.
Fazit
Am 22. Juni 2020, auf einem Online-Podium der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) in München, lehnte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder Erwägungen ab, Zeitarbeit und Werkverträge über die Fleischbranche hinaus zu verbieten. Für den CSU-Chef und potentiellen Kanzlerkandidaten der in 2021 anstehenden Bundestagswahlen scheint demnach das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie faktisch gesetzt. Da hilft es auch nicht, dass die FAZ am 23. Juni 2020 die Schlagezeile „Tönnies will Werkverträge in Kernbereichen abschaffen!“ veröffentlichte. Die Wandlung vom Saulus zum Paulus nimmt man jemandem wie Tönnies nicht ab! Und die seriöse Zeitarbeit hat einen immensen Kollateralschaden zu konstatieren …
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