Dr. Martin Lützeler: „Das BAG dehnt die Unterrichtungspflicht aus“
- Dr. Martin Lützeler, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei CMS Hasche Sigle, analysiert eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12. März 2019 zur Unterrichtungspflicht des Betriebsrats bei Arbeitsunfällen
- Im zu entscheidenden Fall aus dem Jahre 2016 erbrachte eine Arbeitgeberin Zustelldienste und setzte neben eigenen Beschäftigten auch Mitarbeiter von Fremdfirmen auf dem Betriebsgelände ein. Zwei Fremdkräfte erlitten auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin während des Be- und Entladens der Transporter Arbeitsunfälle
- Anders als zuvor das ArbG Stuttgart (Dezember 2016) und das LAG Baden-Württemberg (Mitte 2017) dehnt das BAG die Unterrichtungspflicht nun aus. Dr. Lützeler empfiehlt daher: Arbeitgeber sollten alle Unfälle im Betrieb – auch mit Beteiligung von Fremdpersonal – insbesondere betriebsverfassungsrechtlich im Auge behalten
Kommt es im Betrieb zu einem Unfall muss dies bei der Unfallversicherung angezeigt (§ 193 Abs. 1 SGB VII) und dem Betriebsrat (§ 89 Abs. 6 BetrVG) sowie der Aufsichtsbehörde (§ 193 Abs. 7 SGB VII) eine Durchschrift der Anzeige ausgehändigt werden. Nach der Entscheidung des BAG (Beschl. v. 12. März 2019 – 1 ABR 48/17) muss der Arbeitgeber den Betriebsrat auch über Arbeitsunfälle unterrichten, die Beschäftigte eines anderen Arbeitgebers in seinem Betrieb erleiden. Damit geht die Rechtsprechung des BAG ein weiteres Mal über den „Betrieb und seine Angehörigen“ hinaus und nimmt eine über die Arbeitnehmerüberlassung hinausgehende Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats an.
Der zu entscheidende Fall
In dem vom BAG entschiedenen Fall erbringt eine Arbeitgeberin Zustelldienste. Neben eigenen Beschäftigten werden auch Mitarbeiter von Fremdfirmen auf dem Betriebsgelände tätig. Anfang des Jahre 2016 erlitten zwei Fremdkräfte auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin während des Be- und Entladens der Transporter Arbeitsunfälle.
Eine Meldung dieser Unfälle seitens der Arbeitgeberin erfolgte weder gegenüber dem Betriebsrat noch der Berufsgenossenschaft. Der Betriebsrat wollte die Arbeitgeberin verpflichten, ihm eine Kopie der Anzeige an die Berufsgenossenschaft zu übersenden und ihn über Arbeitsunfälle der Mitarbeiter der beschäftigten Drittfirma zu unterrichten.
Arbeitsgericht Stuttgart lehnt Anträge zunächst ab
Das ArbG Stuttgart lehnte im Dezember 2016 die Anträge des Betriebsrats ab (Az. 7 BV 206/16), weil keine Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Erstattung einer Anzeige für Unfälle von Arbeitnehmern ihrer Servicepartner, die sich auf ihrem Betriebsgelände ereignet hätten, bestehe.
Drei Jahre später ist klar: Das BAG geht einen anderen Weg als zuvor das ArbG Stuttgart beziehungsweise das LAG Baden-Württemberg und dehnt die Unterrichtungspflicht aus.
Gegen den Beschluss des ArbG Stuttgart legte der Betriebsrat Beschwerde ein. Mitte 2017 wies das LAG Baden-Württemberg die Beschwerde zurück (Beschl. v. 19. Juli 2017 – 21 TaBV 15/16). Der Betriebsrat stützte seine Ansprüche auf seine Zuständigkeit für Angelegenheiten des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung. Hierbei gehe es um die Schaffung eines ausreichenden Schutzniveaus am Arbeitsplatz, was alle Personen, die auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin tätig würden, betreffe. Eine Differenzierung zwischen den Beschäftigten sei mit dem Ziel der Regelung nicht vereinbar. Die Arbeitgeberin argumentierte hingegen mit der Zuständigkeit des Betriebsrats. Es bestehe gerade keine Kompetenz für Fremdpersonal.
Wie weit geht der Verantwortungsbereich des Betriebsrats?
Das LAG Baden-Württemberg betonte, dass der Betriebsrat grundsätzlich nur die Verantwortung für die eigenen Arbeitnehmer des Betriebs, die ihn auch gewählt hätten, trage. Im Rahmen der Reform des BetrVG im Jahr 2001 sei zwar der Informationsanspruch auf Arbeitnehmer erstreckt worden, die in keinem Arbeitsverhältnis zu dem Arbeitgeber stünden – als Folge würden auch Zeitarbeitnehmer erfasst. Voraussetzung sei allerdings, dass der Betriebsrat diese Information für die Durchführung seiner gesetzlichen Aufgaben benötige. Damit gehe jedoch nicht automatisch einher, dass sich die Überwachungspflicht des Betriebsrats auch auf Mitarbeiter von Drittfirmen erstrecke. Vielmehr müsse der Betriebsrat durch die entsprechende Auskunft in der Lage versetzt werden, zu prüfen, ob sich im Hinblick auf eine Eingliederung dieser Personen etwaige Mitbestimmungsrechte ergäben. Eine Verpflichtung der Arbeitgeberin aus anderen betriebsverfassungsrechtlichen Normen lehnte das LAG Baden-Württemberg ab.
Unterrichtungspflicht wird ausgedehnt
Drei Jahre später ist klar: Das BAG geht einen eigenen Weg und dehnt die Unterrichtungspflicht aus. Dem Begehren des Betriebsrats zur Vorlage der Unfallanzeigen gab das BAG dagegen nicht statt. Soweit sich dies aus der Pressemitteilung ablesen lässt, stützt sich das BAG auf die Verpflichtung des Betriebsrats zum Einsatz für Arbeitsschutz und Unfallverhütung. Zugegebenermaßen stellt § 89 Abs. 1 BetrVG auf den „Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb“ und nicht auf „Arbeitnehmer“ oder, wie z.B. § 80 Abs. 2 BetrVG, auf „die Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen", ab. Auch die in § 8 ArbSchG geregelte Pflicht der Arbeitgeber zur Zusammenarbeit, wenn Beschäftigte mehrere Arbeitgeber an einem Arbeitsplatz tätig sind, dehnt den Verantwortungsbereich aus. So muss sich nach § 8 Abs. 2 ArbSchG der Arbeitgeber – je nach Tätigkeit – vergewissern, dass die Beschäftigten anderer Arbeitgeber, die in seinem Betrieb tätig werden, über Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit während ihrer Tätigkeit in seinem Betrieb angemessene Anweisungen erhalten haben.
Fazit
Bei Angelegenheiten, die im Kontext von Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb auftreten, ist nach Ansicht des BAG der Betriebsrat zu beteiligen. Aus diesen Unfällen könne der Betriebsrat für seine Zuständigkeit relevante Erkenntnisse gewinnen. Diese würden ihm dabei helfen, für einen erhöhten Schutz für die Arbeitnehmer am Arbeitsplatz sowie eine bessere Unfallverhütung zu sorgen. Letztlich solle davon der gesamte Betrieb profitieren. Ob das BAG auch in seinen Entscheidungsgründe dieser Linie folgt, bleibt abzuwarten. Fest steht bereits schon jetzt, dass Arbeitgeber alle Unfälle im Betrieb – ebenfalls mit Beteiligung von Fremdpersonal – insbesondere betriebsverfassungsrechtlich im Auge behalten müssen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Dr. Alexander Bissels Infobrief Zeitarbeit von April 2019.
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