22.03.2022 Werner Stolz

„Das Vorgehen des Bundesministeriums ist ein eklatanter Systembruch“

  • Ab dem 1. Oktober steigt der Mindestlohn in Deutschland auf 12 Euro, das Bundeskabinett hat den entsprechenden Gesetzesentwurf dazu verabschiedet.
  • Was dem Schutz der Arbeitnehmenden dienen soll, bringt zunächst aber auch Schwierigkeiten mit sich, denn: Viele Tarifverträge enthalten mitunter Entgelte, die unter der neuen staatlichen Norm liegen. Auch die Zeitarbeit ist davon betroffen.
  • Was die aktuelle Entwicklung konkret für die Zeitarbeit bedeutet und ob Handlungsbedarf seitens Unternehmen und Verbände besteht, erklärt iGZ-Hauptgeschäftsführer Werner Stolz im arbeitsblog-Interview.

arbeitsblog: Herr Stolz, in welchen Wirtschaftszweigen wird sich die Anhebung des Mindestlohns aus Ihrer Sicht bemerkbar machen?

Werner Stolz: Unmittelbar spürbar dürfte die Anhebung des Mindestlohns in den Branchen sein, die wie die Zeitarbeit Entgeltgruppen unterhalb der 12 Euro haben. Dies kann die Lohn-Preis-Spirale weiter anheizen und die Inflationsrate noch weiter erhöhen. Insgesamt würden durch die Neuregelungen über hundert bestehende Tarifverträge betroffen, insbesondere in den Wirtschaftszweigen Logistik, Handwerk, Gastronomie und Hotel-/Gaststättengewerbe.

arbeitsblog: Besteht eine generelle Gefahr, dass sich Verschiebungen in den Tarifverträgen auftun?

Werner Stolz: Die überdurchschnittliche Anhebung der unteren Entgeltgruppen wird das Lohngitter zumindest in den „benachbarten“ Entgeltgruppen strukturell gefährden, da sich die Abstände verringern. Das zeigt, dass der Gesetzgeber mehr Vertrauen in die Tarifautonomie haben sollte, um branchengerechte Lösungen zu finden.

arbeitsblog: Mit welchen Folgen rechnen Sie für die Zeitarbeit?

Werner Stolz: Die Zeitarbeit lag bisher mit ihrem Branchenmindestlohn oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Wir sehen das nicht nur vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels auch perspektivisch als richtig an. Ob die außerplanmäßige Anhebung des Mindestlohns negative makroökonomische Folgen nach sich zieht, ist derzeit schwer abzusehen und sollte auf jeden Fall genau evaluiert werden, um gegebenenfalls rechtzeitig entgegenzuwirken.

arbeitsblog: Inwiefern betrifft der gestiegene Mindestlohn die Branche direkt?

Werner Stolz

Werner Stolz: Der iGZ-Entgelttarifvertrag hat eine Laufzeit bis zum 31.12.2022. Im April 2022 erhöhen sich die Entgelte in der Entgeltgruppe 1 auf 10,88 Euro und in der Entgeltgruppe 2a auf 11,60 Euro. Damit liegen während der Laufzeit zwei Entgeltgruppen unterhalb des vom Gesetzgeber ab 1. Oktober 2022 vorgesehenen Mindestlohn von 12 Euro. Die staatliche Intervention tangiert somit die Tarifautonomie in der Zeitarbeitsbranche. Hinzu kommt, dass die Lohnuntergrenze per Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für allgemeinverbindlich festgelegt worden ist. Wir müssen hier also tätig werden.

Der Gesetzgeber sollte mehr Vertrauen in die Tarifautonomie haben, um branchengerechte Lösungen zu finden.

– Werner Stolz

arbeitsblog: Wie bereiten Sie sich nun darauf vor?

Werner Stolz: Wir werden mit den Gewerkschaften der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit im März über die Situation sprechen und versuchen, auf tarifpolitischem Weg passende Lösungen zu finden.

arbeitsblog: Ist die aktuelle Regierung aus Sicht des iGZ auf dem richtigen Weg oder besteht die Gefahr, dass dadurch die Tarifautonomie gefährdet wird?

Werner Stolz: Hier gilt es zu beachten: Das Mindestlohngesetz sieht eine jeweilige Anhebung durch die Mindestlohnkommission vor. Die Idee hinter dieser Anpassung ist, dass dadurch das Thema nicht politisiert wird. Es sollten stattdessen die Sozialpartner selbst unter Berücksichtigung der tariflichen Lohnentwicklung den Mindestlohn festlegen. Dass der Gesetzgeber nun die Mindestlohnkommission „überstimmt“, um Wahlkampfversprechen einzulösen, ist ein eklatanter Systembruch mit politischer Wiederholungsgefahr. Der gesetzliche Eingriff in das Bestands- und Autonomievertrauen der Sozialpartner muss zumindest durch einen späteren Zeitpunkt der Anhebung und angemessene Übergangsregelungen abgemildert werden, wie wir in einer iGZ-Stellungnahme an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefordert haben.

Dass der Gesetzgeber nun die Mindestlohnkommission „überstimmt“, um Wahlkampfversprechen einzulösen, ist ein eklatanter Systembruch.

– Werner Stolz

arbeitsblog: Macht der erhöhte Mindestlohn denn vielleicht auch Hoffnung auf wachsende Wirtschaftszweige? Stichwort erhöhte Kaufkraft?

Werner Stolz: Dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen der Wirtschaftsforschungsinstitute. Wachstum dürfte eher von anderen Kriterien abhängen, wie dem Abflauen der Lieferkettenproblematik oder der derzeit noch völlig unklaren Frage, wie sich der Krieg in der Ukraine und die Sanktionsfolgen auf die deutsche Wirtschaft auswirken. Aus Sicht der Personaldienstleister lässt sich aber feststellen, dass der pandemiebedingte Umsatzrückgang inzwischen weitgehend wieder kompensiert werden konnte und die Nachfrage nach flexiblen Einsätzen wieder angestiegen ist. Um diese adäquat besetzen zu können, spielt natürlich auch ein attraktives Gehaltsangebot eine wichtige Rolle bei der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften. Deshalb ist die absolute Höhe des neuen gesetzlichen Mindestlohnes von 12 Euro an sich kein essenzielles Problem.


Werner Stolz

Der Rechtsanwalt Werner Stolz ist Hauptgeschäftsführer des Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ). Im März 2021 feierte er sein 20-jähriges Jubiläum beim iGZ. Leitmotiv seiner Verbandstätigkeit war und ist es, die Zeitarbeit als normale Wirtschaftsbranche in Deutschland zu etablieren. Er war unter anderem maßgeblich an der Gestaltung des ersten iGZ-DGB-Tarifwerks beteiligt und hat den Weg für die Einführung des Ausbildungsberufs Personaldienstleistungskaufmann/-kauffrau geebnet.

 

Hier können Sie die schriftliche Stellungnahme des iGZ zur Anhebung des Mindestlohns nachlesen.

Kontakt

0911974780 info@kontext.com