18.05.2020 Thorsten Rensing

„Beim Gastro-Neustart zeigt sich ein Flickenteppich!“

  • Thorsten Rensing, Geschäftsführer von STAFF RENT und SMARTCHILLI, wirft einen Blick auf die Lage der Gastronomie in der Corona-Krise. Genauer gesagt beschreibt er zunächst die finanzielle und die organisatorische Seite – und analysiert dann „den politischen Flickenteppich“, der der Branche zu schaffen macht
  • Mit Blick auf die Politik fordert Rensing: „Die angedachte temporäre Senkung des Mehrwertsteuersatzes ist notwendig, aber nicht ausreichend. Die Gastronomie braucht einen Fonds oder zeitlich begrenzte Subventionen, um entgangene Gewinne ausgleichen zu können. Denn sonst werden keine Investitionen mehr getätigt werden können.“
  • In zweiten Teil des Beitrags geht Thorsten Rensing darauf ein, welche Schlüsse die Zeitarbeitsbranche aus der aktuellen Situation der Gastronomie ziehen sollte

Die Lage der Gastronomie und ihrer Dienstleister – zu denen natürlich auch wir Zeitarbeitsfirmen zählen – ist im Moment unübersichtlich und ungewiss.

Um das Ausmaß des Dilemmas zu verstehen, kommen hier zuerst ein paar Fakten zur Gastro-Branche: Das Gastgewerbe alleine erwirtschaftet einen Umsatz von fast 90 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Die gesamte Luftfahrtbranche kommt auf knapp 16 Prozent dieser Summe. Dienstleister, wie die Zeitarbeitsfirmen, schlagen noch einmal mit 30 Milliarden Euro jährlich zu Buche. Rund 2,4 Millionen Menschen aus jedem Milieu und mit den verschiedensten Bildungshintergründen arbeiten in über 200.000 Gastronomiebetrieben.

Seit März ist dieser Markt vollständig zusammengebrochen. Umsatzeinbrüche von bis zu 100 Prozent sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Take-Aways, Online-Kochkurse und Lieferdienste sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Shutdown war richtig und notwendig. Er wurde geordnet und zügig von den Gastronomen und den Zulieferern umgesetzt. Seitdem kämpfen sie um jeden Arbeitsplatz. Und das ohne eine belastbare Öffnungsperspektive, die ein wirtschaftliches Arbeiten für die Zukunft ermöglicht. Denn: Beim Gastro-Neustart zeigt sich ein Flickenteppich. Das Wissen über die Branche sowie ihre Hygiene- und Sauberkeitskonzepte ist bei Politikern und der Gesellschaft ganz offensichtlich mangelhaft. Die Regelungen gleichen einem Tohuwabohu.

Die finanzielle Seite
Bis Ende Mai beziehungsweise Mitte Juni sind Stundungen von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern als Hilfe vorgesehen. Aber: Die dann fälligen Summen werden ein riesengroßes Loch in die Rücklagen der Gastro-Betriebe reißen. Das Geld muss bereits heute auf dem Konto liegen, ist aus den Umsätzen, die seit den Lockerungen erwirtschaftet werden konnten, aber nicht zu stemmen. So droht eine leise Insolvenzwelle. Denn das Melden einer Insolvenz innerhalb von drei Wochen, wie es die Insolvenzverordnung (InsO) vorsieht, ist bis Ende des Jahres ausgesetzt.

Die Soforthilfe – gut gemeint, aber in der Höhe völlig unzureichend – wird zum großen Teil für zusätzliche Hygienemaßnahmen wie Spuckschutz verwendet werden müssen, um überhaupt öffnen zu dürfen. Darlehen von der KfW fließen häufig gar nicht oder schließen ganze Betriebsgruppen aus. Beispielsweise erhalten Betriebe, die nicht bereits fünf Jahre am Markt sind, keine klassischen Darlehen. Dabei haben sie häufig die wenigsten Rücklagen.

Die organisatorische Seite
Nach Ischgl und dem Heinsberg-Karneval wurde der Eindruck erweckt, dass die Gastronomie eine der Hauptursachen für die Verbreitung des Corona Virus sei. Nicht erwähnt wurde dabei, dass in jedem Gastro-Betrieb Eigenkontrollen und HACCP Konzepte Standard sind. Auch Hygienevorschriften sind für die Branche nicht neu, sondern Alltag. Neben COVID-19 gibt es eine Menge anderer meldepflichtiger Erkrankungen, mit denen Gastronomen jeden Tag umgehen und deren Auftreten sie melden müssen. Jetzt also noch weitere Auflagen auf Bundes- und/oder Landesebene. Wer soll da noch durchblicken und unternehmerisch wirtschaften?

Hinzu kommen die notwendigen Umbaumaßnahmen und weitere Dokumentationspflichten, denen Gastronomen unterliegen. Nur um sofort wieder schließen zu müssen, wenn die Zahl der Neuerkrankungen auf über 50 pro 100.000 Menschen innerhalb von sieben Tagen steigt. Ein Richtwert, auf den sie keinerlei Einfluss haben. Eine Perspektive, die eigentlich keine ist.

Hinzu kommen weitere Dokumentationspflichten, denen Gastronomen unterliegen. Nur um sofort wieder schließen zu müssen, wenn die Zahl der Neuerkrankungen auf über 50 pro 100.000 Menschen innerhalb von sieben Tagen steigt. Ein Richtwert, auf den sie keinerlei Einfluss haben. Eine Perspektive, die eigentlich keine ist.

– Thorsten Rensing beschreibt die schwierige Lage der Gastronomie:

Das Chaos der politischen Aktionisten
Der geschlossenen politischen Front, die wir beim Shutdown erleben durften, stehen nun bei der Lockerung Partikularinteressen Einzelner gegenüber. Söder, der Hardliner, ist für restriktive Maßnahmen im stark betroffenen Bayern. Laschet, der Öffner, hat fast dieselbe Ausgangslage in NRW – aber eine gänzlich andere Strategie. Unternehmen, die in verschiedenen Bundesländern tätig sind, brauchen nicht einen, sondern gleich mehrere Hygienepläne. Denn von Bundesland zu Bundesland unterscheiden sich die Vorgaben nicht nur, sie widersprechen sich teils gar.

Ein Beispiel gefällig?

In Mecklenburg-Vorpommern dürfen maximal sechs Gäste an einem Tisch sitzen. In NRW ist die Anzahl egal. Solange sie entweder eine Familie sind oder aus nicht mehr als zwei Haushalten stammen. Das zu überprüfen obliegt dem Gastronomen. Stellt sich nur die Frage: wie?

Weiter geht’s: In Meck-Pomm ist ein Restaurantbesuch ohne Reservierung grundsätzlich verboten, um Warteschlangen zu vermeiden. In NRW wird der Sachverhalt nicht mal erwähnt.

Am Auffälligsten wird dieser Aktionismus aber beim Thema Containment. Der Gastronom muss sicherstellen, dass er für den Zeitraum von vier Wochen jeden Gast namentlich mit Kontaktdaten benennen kann, um die Nachverfolgung im Falle einer COVID-19 Infektion zu ermöglichen. NRW verlangte hier bis letzte Woche expressis verbis „auf den Tischen ausliegende Listen“ mit Kundenkontaktdaten. Datenschutz? Fehlanzeige. Mecklenburg-Vorpommern setzte auf Tagesanwesenheitslisten. Dabei wären diese Listen „so zu führen und zu verwahren [gewesen], dass die personenbezogenen Daten für Dritte, insbesondere andere Gäste, nicht zugänglich sind“. Das für NRW vorgeschriebene Prozedere wäre in Mecklenburg-Vorpommern eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 25.000 Euro Strafe bewährt ist! Nach Intervention des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (und von SMARTCHILLI) sind nun doch auch digitale Lösungen erlaubt. Vorausgesetzt, der Gast bestätigt per Unterschrift, dass er einverstanden ist.

Das für NRW vorgeschriebene Prozedere wäre in Mecklenburg-Vorpommern eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 25.000 Euro Strafe bewährt ist!

– Thorsten Rensing über den politischen Flickenteppich:

Ein letztes Beispiel für die chaotische Planung: In allen Gastronomien sind Buffet-Angebote verboten. Wegen der Ansteckungsgefahr. Frage: Was sehen Sie in fast jedem Supermarkt als erstes? Richtig, das Salatbuffet …

Dienstleistung ist weder lager- noch lieferbar
Die Politik hat einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen. Denn jede weitere Welle, sei es Corona oder ein anderes Virus, wird dazu führen, dass Rufe nach einer einfachen Lösung laut werden. Dabei gehört zur Ehrlichkeit auch, den Bürgern nahezubringen, dass es absolute Sicherheit nicht gibt – und jede Eskalationsstufe einen Preis hat.

Viele Industrien können reagieren, indem sie Lieferketten und die Wertschöpfung verändern. Dienstleister und Gastronomen können das nicht. Daher ist es für sie fast unmöglich, sich auf weitere Schocks vorzubereiten. Dienstleistung ist immer lokal und persönlich. Sie muss individuell erbracht werden. Sie ist weder lager- noch lieferbar.

Was ist zu tun? Die Antwort lautet – einiges:

  • Für die Politik heißt es nun, den entstandenen Schaden zu minimieren. Erste Schritte wie die angedachte temporäre Senkung des Mehrwertsteuersatzes sind notwendig, aber nicht ausreichend. Die Lieferanten profitieren übrigens gar nicht davon. Die InsO muss den Gläubigerschutz wiederherstellen. Nur dann kann man wieder vertrauensvoll miteinander arbeiten. Die Gastronomie braucht einen Fonds oder zeitlich begrenzte Subventionen, um entgangene Gewinne ausgleichen zu können. Denn sonst werden keine Investitionen mehr getätigt werden können. Unternehmensberatergutscheine für KMU auszugeben, hat einen faden Beigeschmack. Ein bisschen wie einen Arzt zu einem Toten rufen. Gut gemeint, aber unnötig. Wichtiger sind klare Spielregeln, an die sich alle halten, dann investieren auch die Unternehmer.
     
  • Für die Gastronomen gilt: Überdenkt die Preispolitik. Wenn Rücklagen teilweise nicht zwei Monate reichen, muss das Preisgefüge geändert werden. Manchmal sind weniger Gäste dann mehr. Und überprüft die Prozesse. Was kann ich digitalisieren? Was hilft mir wirklich? Es gibt gute, günstige Zeiterfassungen. Es gibt online Reservierungssysteme, die sich leicht auf Homepages implementieren lassen. Besteht die Möglichkeit, Kunden mit Treue- und nicht mit Rabattaktionen zu binden? Schafft Marken. Nutzt Newsletter, Take-Aways und gebt digital Einblick in das, was Ihr jeden Tag leistet. Die Kunden sind sich dessen häufig nicht bewusst.
     
  • Apropos Kunden: Sie sollten nicht nur von Qualität reden, sondern sie auch honorieren. Etwa durch Akzeptanz bei höheren Preisen. Und: Trinkgeld ist kein Almosen in Zeiten der Krise, sondern Anerkennung für einen wunderschönen Abend. Erinnern wir uns doch alle daran, wie sehr uns unser Lieblingsrestaurant oder die Kneipe um die Ecke gefehlt haben. Dann kann alles gut werden. Oder um es Tim Mälzer, Tim Raue, Julia Komp und Georg Broich zu sagen: Dann ist die Gastro gekommen, um zu bleiben.


Welche Schlüsse die Zeitarbeitsbranche aus der aktuellen Situation der Gastronomie ziehen sollte, beschreibt Thorsten Rensing im zweiten Teil des Beitrags.


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