AU-Bescheinigung adé – und dann?
- Dr. Martin Lützeler, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei CMS Hasche Sigle, analysiert die Auswirkungen des vom Bundeswirtschaftsministerium angekündigten dritten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG III)
- Der Gesetzesentwurf sieht vor, die allen Arbeitnehmern und Personalverantwortlichen wohl bestens bekannte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch eine elektronische Übermittlung durch die Krankenkassen zu ersetzen
- Während die klaren Vorteile der Neuregelung – nämlich die entfallende Pflicht für kassenversicherte Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber die AU-Bescheinigung eigenhändig zukommen zu lassen – sehr überschaubar blieben, würde die Umstellung auf der anderen Seite für Arbeitgeber mit neuen Unklarheiten und technischen Hürden einhergehen, bilanziert Dr. Lützeler
Das Bundeswirtschaftsministerium hat sein seit längerem angekündigtes drittes Bürokratieentlastungsgesetz (BEG III) vorgelegt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stellte es am 10.09.2019 vor. Ziel des Gesetzes ist der Abbau "überbordender Bürokratie", die die Wirtschaft belaste. Eine der Änderungen betrifft § 5 EFZG, der die Meldepflicht der Beschäftigten im Fall der Arbeitsunfähigkeit regelt.
Wir erinnern uns: Der Mensch wird krank. Eine Krankheit kann sogar dazu führen, dass man unfähig ist, zu arbeiten (Arbeitsunfähigkeit). In diesem Fall sind Arbeitnehmer nach § 5 EFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich mitzuteilen.
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Diese ärztliche Bescheinigung hat ihre Tücken. Zuletzt war das Verfahren Anfang des Jahres 2016 durch geänderte Formulare angepasst und vereinfacht worden.
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, nach wie vor gerne "gelber Zettel" genannt, soll nun in bestimmten Fällen überflüssig werden. Hierfür sieht das Bürokratieentlastungsgesetz in § 5 EFZG einen neuen Absatz 1a vor, der wie folgt lauten soll:
"Absatz 1 Satz 2 bis 5 gilt nicht für Arbeitnehmer, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Diese sind verpflichtet, zu den in Abs. 1 Satz 2 bis 4 genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach Abs. 1 Satz 2 oder 4 aushändigen zu lassen. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten (§ 8a viertes Buch SGB) oder bei Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt."
Parallel dazu sind Änderungen im SGB IV, das die Krankenversicherung regelt, vorgesehen. § 109 SGB IV über die "Meldung der Arbeitsunfähigkeit und Vorerkrankungszeiten an die Arbeitgeber" soll folgendermaßen aussehen:
- Die Krankenkasse hat nach Eingang der Daten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen, die die Daten über den Namen des Beschäftigten, den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit, das Ausstelldatum und die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung enthält. In den Fällen, in denen die Krankenkasse die Daten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches für ein geringfügig beschäftigtes Mitglied erhält, hat sie diese Daten nach Satz 1 am Tag des Eingangs an die zuständige Einzugsstelle bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zur Bereitstellung zum Abruf für den Arbeitgeber zu übermitteln. Unberührt bleibt die Verpflichtung des behandelnden Arztes, dem Versicherten eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit nach § 73 Absatz 2 Satz 1 Nummer 9 des Fünften Buches in Verbindung mit § 5 Absatz 1a Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz auszuhändigen.
- Im Falle einer Mehrfachbeschäftigung können Beschäftigte bis zum Abruf durch den Arbeitgeber gegenüber der Krankenkasse die Sperrung des Abrufes für einen oder mehrere Arbeitgeber verlangen.
- Stellt die Krankenkasse auf Grundlage der Angaben zur Diagnose in den Meldungen nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches und weiteren ihr vorliegenden Daten fest, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen anrechenbarer Vorerkrankungszeiten für einen Arbeitgeber ausläuft, übermittelt sie dem betroffenen Arbeitgeber eine Meldung mit den Angaben über die für ihn relevanten Vorerkrankungszeiten. Satz 1 gilt nicht für geringfügige Beschäftigte.
- Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Beschäftigte nach § 12.
- Das Nähere zu den Angaben und zum Verfahren regelt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen in Grundsätzen. Die Grundsätze bedürfen der Genehmigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft; die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist vorher anzuhören.“
Die Krankenkassen werden im Ergebnis die Übermittler der Arbeitsunfähigkeit, wenn das Gesetz so in Kraft tritt. Allerdings ist die Information für den Arbeitgeber als "Meldung zum Abruf" vorgesehen. Der Arbeitgeber muss bei der Krankenkasse abrufen, ob Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für ihn vorliegen.
Nach den Vorstellungen des Ministeriums soll also die Krankenkasse gesetzlich krankenversicherter Arbeitnehmer dem jeweiligen Arbeitgeber zahlreiche Daten "in elektronischer Form als Meldung zum Abruf" bereitstellen, sobald sie die Arbeitsunfähigkeitsmeldung des Arztes erhält. Dazu gehören der Name, Beginn und Ende der AU, das Ausstellungsdatum und die Kennzeichnung, ob es sich um eine Ersterkrankung oder eine Folgemeldung handelt.
Gleichzeitig soll die Pflicht des Arbeitnehmers entfallen, dem Arbeitgeber die AU-Bescheinigung vorzulegen. Dies gilt nicht für diejenigen Beschäftigten, die nicht gesetzlich krankenversichert sind oder bei denen die elektronische Meldung nicht greift. Das wiederum sind geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten oder die Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit nicht durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.
Die Krankenkassen werden im Ergebnis die Übermittler der Arbeitsunfähigkeit, wenn das Gesetz so in Kraft tritt. Allerdings ist die Information für den Arbeitgeber als "Meldung zum Abruf" vorgesehen. Der Arbeitgeber muss bei der Krankenkasse abrufen, ob Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für ihn vorliegen.
Bescheid sagen, dass er nicht arbeiten kann, muss der Arbeitnehmer auch weiterhin: denn § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG bleibt unberührt. Von der Papierbescheinigung für den Arbeitnehmer sieht der Entwurf ebenso nicht ab. Der Arbeitnehmer solle weiterhin ein Beweismittel erhalten, mit dem von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert für Störfälle. Hierunter versteht das Ministerium die "fehlgeschlagene Übermittlung im elektronischen Verfahren".
Fazit
Richtig – durch die Änderungen wird die Versendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gespart. Aber in wie vielen Fällen reichen Beschäftigte die Bescheinigung überhaupt noch per Briefumschlag mit Briefmarke ein?
Und ja – in den Personalabteilungen werden zukünftig nicht mehr die Daten aus Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Systeme eingegeben. Aber der so gesparte Aufwand wird möglicherweise durch den neuen Aufwand für den Abruf solcher Meldungen ersetzt.
Es bleibt zu hoffen, dass die Krankenkassen eine schnelle Weiterleitung der bei diesen eingehenden ärztlichen Meldungen für die Arbeitgeber ermöglichen.
Gleiches gilt für den nach § 109 Abs. 3 SGB IV vorgesehenen Hinweis der Krankenkasse, dass die Entgeltfortzahlung wegen anrechenbarer Vorerkrankungszeiten ausläuft. Hier müssen die Arbeitgeber auf eine schnelle Meldung mit den Angaben über die für ihn relevanten Vorerkrankungszeiten hoffen. Der Vorschlag spricht davon, die Krankenkasse "übermittelt […] dem betroffenen Arbeitgeber eine Meldung". Soll hier also kein Abruf durch den Arbeitgeber erfolgen, sondern er bekommt eine Nachricht der Krankenkasse? Wir hoffen, sie kommt nicht mit der Post. Hilfreich wären auch elektronische Systeme, die ein einfaches "Überspielen" der zur Verfügung gestellten Daten in die Personalverarbeitungssysteme der Unternehmen ermöglichen.
Was mit der neuen Regelung wegfiele, ist die Erkenntnis über den die Bescheinigung ausstellenden Arzt. Und was bleibt, ist das Stück Papier, das der Arbeitnehmer ausgehändigt bekommt, um es hoffentlich für Zweifelsfälle aufzubewahren.
Dieser Beitrag erschien zuerst in Dr. Alexander Bissels Infobrief Zeitarbeit von September 2019.
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