Anforderungen an die Offenlegung der Arbeitnehmerüberlassung und Konkretisierung des Zeitarbeitnehmers
- Mit Wirkung zum 01.04.2017 hat der Gesetzgeber das AÜG einer einschneidenden Reform unterzogen. In das Gesetz wurde eine Überlassungshöchstdauer von grundsätzlich 18 Monaten eingefügt und die Möglichkeit der Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz hinsichtlich des Entgelts wurde auf neun Monate beschränkt, wenn nicht ein Branchenzuschlagstarifvertrag einschlägig ist.
- Zudem hat der Gesetzgeber weitere formale Pflichten in Zusammenhang mit dem Abschluss eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags geschaffen, nämlich durch die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht.
- Doch was sind die Anforderungen zur Erfüllung der genannten Pflichten? Dr. Alexander Bissels, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei CMS Deutschland, ordnet in diesem Zusammenhang ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ein.
Gemäß der Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht müssen sich die Parteien offen zu einer Arbeitnehmerüberlassung bekennen und den Zeitarbeitnehmer vor der Überlassung namentlich bezeichnen. Wird gegen diese Pflichten verstoßen, wird ein Arbeitsverhältnis zwischen dem überlassenen Zeitarbeitnehmer und dem Kunden fingiert – ohne und auch gegen den Willen der Beteiligten. Der Zeitarbeitnehmer hat durch die wirksame Abgabe einer Festhaltenserklärung (sehr hohe formalistische Anforderungen, vgl. § 9 Abs. 1 AÜG) jedoch die Möglichkeit, in ein Arbeitsverhältnis zu dem Personaldienstleister „zurückzukehren“.
Insbesondere mit Blick auf diese sehr einschneidenden Rechtsfolgen – hinzu kommt ergänzend, dass der Verstoß gegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG eine Ordnungswidrigkeit darstellt (Bußgeldrahmen: bis zu 30.000,00 EUR) – verwundert es nicht, dass in der juristischen Literatur in Zusammenhang mit der AÜG-Reform 2017 die Frage aufgeworfen wurde, welche (formellen) Anforderungen an § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG zu stellen sind. Insbesondere wurde diskutiert, ob die Pflicht zur Offenlegung nur unter Wahrung der Schriftform erfüllt werden kann und ob, wenn dies nicht erfolgt ist, bereits aufgrund dieses Umstands ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kunden und dem Zeitarbeitnehmer fingiert wird.
Das BAG hat sich in einem jüngst veröffentlichten Urteil mit diesen rechtlichen Aspekten befassen müssen und festgestellt, dass es eines nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG formgültigen Arbeitnehmerüberlassungsvertrags bedarf, um der Offenlegungspflicht zu genügen. Ansonsten wird ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kunden und dem überlassenen Zeitarbeitnehmer begründet.
Dem Urteil liegt zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde:
Die X-GmbH stellte den Kläger am 04.06.2012 als Arbeitnehmer ein. Seitdem war er zunächst bei der Y-GmbH, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, und anschließend bei der Beklagten als Lagerist tätig.
Bis zum 15.02.2018 erfolgte der Einsatz auf Grundlage eines nominellen Werkvertrags. Zwischen den Parteien ist dabei streitig, ob es sich dabei tatsächlich nicht um eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung handelte.
Ab dem 16.02.2018 wurde der Kläger aufgrund eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags beschäftigt, der von der X-GmbH am 05.02.2018 und von Y-GmbH am 28.02.2018 unterzeichnet wurde. Dieser enthält eine von den Parteien zeitgleich unterschriebene Anlage mit Angaben zum Einsatz des Klägers vom 16.02.2018 bis zum 31.12.2018. Über diesen informierte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 05.02.2018, der dem Einsatz am 08.02.2018 zustimmte.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass zwischen den Parteien mit Wirkung zum 16.02.2018 ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei, weil die gesetzlichen Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten vor der Überlassung von Arbeitnehmern nicht eingehalten worden seien. Die Offenlegungspflicht könne nur durch einen im Zeitpunkt des Einsatzes formwirksam geschlossenen Überlassungsvertrag erfüllt werden. Daran fehle es. Der Vertrag mit der Y-GmbH sei erst zustande gekommen, nachdem er seine Tätigkeit bei der Beklagten bereits aufgenommen habe.
Das BAG folgte der von dem Kläger vertretenen Ansicht und bestätigte das zweitinstanzliche Urteil des LAG Hamm, das – so der 9. Senat – zutreffend erkannt habe, dass zwischen den Parteien wegen des Verstoßes gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten (§ 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG) ein Arbeitsverhältnis bestehe.
Weitere Informationen zur ausführlichen Urteilsbegründung:
Zwischen dem Entleiher und dem Zeitarbeitnehmer komme nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer aus einem der in § 9 Abs. 1 AÜG aufgeführten Gründe unwirksam sei und der Arbeitnehmer keine Festhaltenserklärung abgebe. Der Unwirksamkeitsgrund des § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG sei erfüllt, wenn die Arbeitnehmerüberlassung entgegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Zeitarbeitnehmers nicht konkretisiert worden sei. Die Erfüllung der Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten setze einen formwirksamen Überlassungsvertrag im Zeitpunkt des Überlassungsbeginns voraus. Ob die Unwirksamkeitsfolge des § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG nur bei einem kumulativen Verstoß gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten eintrete oder ob dafür bereits der Verstoß gegen eine der beiden Pflichten genüge, bedürfe keiner Entscheidung. Das LAG Hamm habe das Vorliegen eines kumulativen Verstoßes im Streitfall zu Recht bejaht, weshalb es auf die Frage nicht ankomme.
Der Wortlaut von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG spreche – so das BAG – für das Erfordernis eines formwirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrags im Zeitpunkt des Überlassungsbeginns.
Dem Personaldienstleister und dem Entleiher obliege es gem. § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG, die Arbeitnehmerüberlassung in ihrem Vertrag ausdrücklich als solche zu bezeichnen, bevor sie den Zeitarbeitnehmer überlassen oder tätig werden ließen. Nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG hätten sie die Person des Zeitarbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren. Beide Vorschriften setzten damit das Vorliegen eines – wirksamen – Überlassungsvertrags bei Beginn der Arbeitnehmerüberlassung voraus. Zu seiner Wirksamkeit müsse der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag das Schriftformerfordernis nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG erfüllen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei der Erfüllung der Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten auf einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag abstelle, der nicht die vom AÜG geforderten Wirksamkeitsvoraussetzungen erfülle. Andernfalls würden in demselben Gesetz an einen Vertragstyp unterschiedliche Anforderungen gestellt.
Vor Vertragsunterzeichnung sei der noch nicht der Schriftform entsprechende Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nach § 125 S. 1 BGB nichtig. Dieser werde nicht dadurch nachträglich wirksam, dass der Entleiher und das Zeitarbeitsunternehmen nach der Arbeitsaufnahme durch den Arbeitnehmer die Schriftform erfüllten; deshalb könne diese Vereinbarung als solche nicht schon die Grundlage für die Erfüllung der Offenlegungspflicht bilden. Auch die Konkretisierung der Person des Zeitarbeitnehmers, die zwar – anders als die Offenlegung – nicht zwingend im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag selbst, aber „unter Bezugnahme auf diesen Vertrag“ zu erfolgen habe, knüpfe an das Vorliegen einer Vereinbarung an und setze damit einen formwirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bei Überlassungsbeginn voraus.
Die Bedeutung, die der Gesetzgeber den Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten beigemessen habe, unterstreiche dieses am Wortlaut der Vorschriften ausgerichtete Normverständnis. Dieses spreche dafür, dass die Pflichten erst erfüllt werden könnten, wenn ein formwirksamer Vertrag vorliege. Die Verortung im Gesetz und die einschneidende Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags zeigten die Bedeutung, die von den in § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG geregelten Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten ausgehe. Diese seien der Bestimmung des § 1 Abs. 1 AÜG über die zentralen Grundlagen der Arbeitnehmerüberlassung nachträglich hinzugefügt worden (mit Wirkung zum 01.04.2017). Zeitgleich sei § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG in das Gesetz eingefügt worden, der bei einer Verletzung des § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG explizit die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags zwischen dem Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer anordne.
Ein anderes Auslegungsergebnis folge nicht daraus, dass die Pflicht zur Offenlegung nicht in § 12 Abs. 1 S. 3, 4 AÜG als zwingender Inhalt des schriftlichen Arbeitnehmerüberlassungsvertrags geregelt worden sei. Zwar wäre es in systematischer Hinsicht in Betracht gekommen, die Vorschrift des § 12 Abs. 1 AÜG um die Offenlegungspflicht zu ergänzen, weil dort bereits Vorgaben zum Vertragsinhalt geregelt gewesen seien. Dann wäre aber die Bedeutung, die der Gesetzgeber der Offenlegungsplicht durch die explizite Anordnung in S. 5 der zentralen Norm des § 1 Abs. 1 AÜG unmissverständlich beigemessen habe, nicht in gleicher Weise zum Ausdruck gekommen. Sie reiche über die Frage der Wirksamkeit des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags hinaus. Gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG sei die Offenlegung auch für die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags zwischen dem Personaldienstleister und dem Zeitarbeitnehmer relevant.
Die Regelungen in § 16 Abs. 1 Nr. 1c, 1d AÜG bestätigten dieses Auslegungsergebnis. Sie sähen vor, dass ordnungswidrig handele, wer entgegen § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG „nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig“ die Überlassung als solche bezeichne bzw. die überlassene Person konkretisiere. Diese Formulierung zeige, dass eine verspätete Offenlegung und Konkretisierung gegen die Vorgaben des § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG verstießen. § 16 Abs. 1 Nr. 1c, 1d AÜG würde mit der Wendung „nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig“ klarstellen, dass fahrlässige oder vorsätzliche Fehler bei der Pflichterfüllung immer eine Ordnungswidrigkeit darstellen würden und ein verspätetes Handeln gerade nicht ordnungsgemäß sei. Damit korrespondiere, dass ein formnichtiger Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht nachträglich wirksam werden könne. Die Bußgeldbewehrung als solche unterstreiche wiederum die Bedeutung, die der Gesetzgeber der Einhaltung der Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten beimesse und spreche für ein strenges Normverständnis.
Für eine teleologische Reduktion von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG dahingehend, dass bereits ein (noch) formunwirksamer Vertrag als Grundlage für die Offenlegung und Konkretisierung genüge, bestehe kein Raum.
Die teleologische Reduktion einer Vorschrift führe dazu, dass eine nach ihrem Wortlaut anzuwendende Vorschrift hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle unanwendbar sei, da Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprächen. Ausgehend vom Gesetzeszweck werde der zu weit gefasste Wortlaut auf den Anwendungsbereich reduziert, der der ratio legis entspreche. Sie komme allerdings nur in Betracht, wenn sich eine verdeckte Regelungslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes feststellen lasse. Auch bei einem nach wortlautgetreuer Auslegung drohenden Grundrechtsverstoß könne eine teleologische Reduktion der Norm geboten sein.
Diese Anforderungen seien vorliegend nicht erfüllt. Sinn und Zweck der Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten sei es, eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern. Der Personaldienstleister und der Entleiher könnten nur dann wirksam Arbeitnehmerüberlassung praktizieren, wenn sie sich dazu offen und transparent bekennen würden. Führten sie ihre Zusammenarbeit nominell auf der Grundlage eines Werkvertrags etc. durch, obwohl sich die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses als Arbeitnehmerüberlassung erweise, könnten sie – anders als noch nach der bis zum 31.03.2017 geltenden Rechtslage – der Begründung eines Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfolgreich mit dem Hinweis auf das Vorliegen einer vorsorglich für diesen Fall vorgehaltenen Überlassungserlaubnis entgegentreten. Dieser „Fallschirmlösung“ sollte durch die Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten begegnet werden, deren Verletzung gem. § 10 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG unabhängig davon zu einer Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher führen, ob das Zeitarbeitsunternehmen eine Überlassungserlaubnis besitze. Der vermeintliche Werkunternehmer und dessen Auftraggeber sollten auch bei Vorlage einer solchen Erlaubnis nicht bessergestellt sein als derjenige, der ohne diese Arbeitnehmerüberlassung betreibe.
Ausgehend von diesem Zweck bestehe keine planwidrige Regelungslücke in § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG, die es erfordert hätte, Fallgestaltungen auszunehmen, in denen eine Offenlegung und Konkretisierung in einem formunwirksamen Vertrag erfolgen könne. Durch eine Offenlegung und Konkretisierung in einem formunwirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag würde dem Regelungszweck nicht in gleicher Weise wie in einem formwirksamen Vertrag genügt. Wenn bereits vor Überlassungsbeginn ein formwirksamer, d.h. schriftlicher Vertrag vorliegen müsse, bestehe bereits bei Aufnahme der Tätigkeit durch den Zeitarbeitnehmer die vom Gesetzgeber intendierte Transparenz. Ein rechtlicher „Schwebezustand“ zwischen dem Überlassungsbeginn und der Vertragsunterzeichnung werde verhindert. Dadurch entfalte sich von Anfang an sowohl die Warn- als auch die Beweissicherungs- und Dokumentationsfunktion der Schriftform mit der Folge, dass einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung wirksam vorgebeugt werde.
Die wortgetreue Auslegung und Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG habe – gemessen am gesetzgeberischen Ziel – keine überschießende Wirkung. Vielmehr gewährleiste sie, dass dem Zweck der Vermeidung einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung in besonders effektiver Weise entsprochen werde. Zwar könnten sich das Zeitarbeitsunternehmen und der Entleiher rein tatsächlich auch auf andere Weise als in einem formwirksamen Vertrag vor Beginn der Überlassung zur Arbeitnehmerüberlassung bekennen und den Zeitarbeitnehmer konkretisieren. Dies verdeutliche der hiesige Streitfall, in dem die X-GmbH (als Verleiherin) den als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichneten Entwurf vor Überlassungsbeginn unterzeichnete und die Y-GmbH (als Entleiherin) den Betriebsrat unter Offenlegung der Arbeitnehmerüberlassung angehört habe. Unter solchen Umständen erfolge die Überlassung nicht verdeckt. Auch wenn dem Gesetzeszweck danach anders als durch einen formwirksamen Vertrag vor Überlassungsbeginn genügt werden könne, trage die im Gesetz vorgesehene strengere Lösung, der zufolge ein wirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vorliegen müsse, zu Rechtsklarheit und -sicherheit bei. Anderenfalls müsse im Wege der Rechtsfortbildung ein Zeitraum bestimmt werden, binnen dessen der Abschluss eines schriftlichen Arbeitnehmerüberlassungsvertrags rückwirkend nachgeholt werden könnte.
Eine wortgetreue Anwendung des Gesetzes führe nicht zu zweckwidrigen Ergebnissen, weil sie den Schutzzweck des § 12 AÜG in sein Gegenteil verkehre. Zwar habe der Gesetzgeber mit dem Schriftformerfordernis primär den Schutz des Entleihers im Blick (vgl. BT-Drucks. VI/2303, S. 15). Mit seinen Interessen stünde dieses nicht im Einklang. Er werde vielmehr mit der Unwirksamkeit seines Vertrags mit dem Personaldienstleister belastet, wenn bei Überlassungsbeginn (noch) kein formwirksamer Überlassungsvertrag vorliege. Zu berücksichtigen sei aber, dass der Sinn und Zweck der Schriftform nicht auf den Schutz des Entleihers beschränkt sei; dieser bestehe auch in der Erleichterung der Überwachung der Arbeitnehmerüberlassung durch die zuständigen Behörden sowie in einer Beweissicherungs- und Dokumentationsfunktion. Diesen Zwecken werde die wortgetreue Anwendung von § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG gerecht.
Eine teleologische Reduktion sei zudem nicht aus grundrechtlichen Erwägungen geboten. Bei wortlautgetreuer Anwendung drohe kein Verstoß gegen Grundrechte. Zwar hätten das Fehlen einer Offenlegung in einem formwirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag und die unterbliebene Konkretisierung des Zeitarbeitnehmers in Bezug auf einen solchen bei Überlassungsbeginn zur Folge, dass der Arbeitsvertrag unwirksam sei und stattdessen ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert werde. Hierdurch werde in die von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 16 GRC geschützte unternehmerische Vertragsfreiheit des Entleihers eingegriffen. Dies sei aber zum Schutz des Zeitarbeitnehmers vor einer verdeckter Arbeitnehmerüberlassung und im allgemeinen Interesse an einem geordneten Arbeitsmarkt gerechtfertigt. Die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers werde schon deshalb nicht verletzt, weil er es gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG durch die mögliche Festhaltenserklärung selbst in der Hand habe, das Arbeitsverhältnis zum Personaldienstleister fortzusetzen.
Im Ergebnis bestehe zwischen den Parteien gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis. Zu dem für die Erfüllung der Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten nach § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG maßgeblichen Zeitpunkt des Überlassungsbeginns (hier: 16.02.2018) habe noch kein wirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen der X-GmbH und der Y-GmbH bestanden. Der Vertrag sei erst nach Beginn der Überlassung mit der Unterschrift für die Y-GmbH geschlossen worden. Deshalb genüge es für die Offenlegung nicht, dass der Kläger bereits in der Anlage des noch nicht unterschriebenen Vertrags aufgeführt gewesen sei.
Eine Konkretisierung sei nicht dadurch erfolgt, dass die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 05.02.2018 über den geplanten Einsatz des Klägers informiert habe. Zu diesem Zeitpunkt habe noch kein formwirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vorgelegen, auf den i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG hätte Bezug genommen werden können. Eine Festhaltenserklärung habe der Kläger nicht abgegeben.
Kommentar von Dr. Alexander Bissels
Das Ergebnis der sehr ausführlich begründeten Entscheidung des BAG lässt sich wie folgt zusammenfassen, nämlich:
Die Erfüllung der Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG setzt das Bestehen eines formwirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrags im Zeitpunkt des Überlassungsbeginns voraus.
Dies vor folgendem Hintergrund: Seit dem 01.04.2017 ist gesetzlich geregelt, dass die Überlassung des Arbeitnehmers ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen ist. Dies ist nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG zunächst in dem Vertrag zwischen dem Entleiher und dem Personaldienstleister vorzusehen.
Mit dieser Neuregelung schließt sich der Gesetzgeber der nach alter Rechtslage von einer Mindermeinung in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht an, dass es widersprüchlich sein soll, sich einerseits aufgrund des besonderen Schutzzweckes des AÜG und des Typenzwangs bei der Einordnung des Rechtsverhältnisses auf die tatsächliche Durchführung zu berufen, aber andererseits bei der Frage, ob eine nur vorsorglich eingeholte Arbeitnehmerüberlassung ausreichend ist, einen formalistischen Standpunkt einzunehmen.
§ 1 Abs. 1 S. 5 AÜG verlangt dabei, dass die Offenlegung der Arbeitnehmerüberlassung in dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag erfolgt. Dies bedeutet auch, dass das gesetzliche Schriftformerfordernis nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG, §§ 126, 126a BGB zu beachten ist; ansonsten kann die Offenlegungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG bereits aus formalen Gründen nicht gewahrt werden. Systematisch hätte der Gesetzgeber die Offenlegungspflicht daher nicht in § 1 AÜG, sondern in § 12 Abs. 1 AÜG verorten sollen. Erforderlich ist, dass der Vertrag wechselseitig von den Parteien unterzeichnet wird oder bei mehreren gleichlautenden Urkunden jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterschreibt oder die elektronische Form gewahrt wird.
Zudem ist in dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass eine Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt werden soll. Dies kann in der Praxis am einfachsten durch die Kennzeichnung der Vereinbarung in der Überschrift als „Arbeitnehmerüberlassungsvertrag“ (nicht: Kooperations-, Personalgestellungs- oder Dienstleistungsvertrag) geschehen. Ggf. kann zusätzlich festgelegt werden, dass die Vereinbarung die Rechte und Pflichten des Personaldienstleisters, der dem Entleiher Arbeitnehmer überlässt, und des Entleihers, der die von dem Personaldienstleister überlassenden Arbeitnehmer einsetzt und die dafür vereinbarte Vergütung an den Entleiher zahlt, regelt. Die Anforderungen an die ausdrückliche Bezeichnung der Arbeitnehmerüberlassung in dem Vertrag zwischen dem Personaldienstleister und dem Entleiher dürfen dabei allerdings nicht allzu hoch anzusetzen sein. Ausreichend ist, wenn sich die Bezeichnung „Arbeitnehmerüberlassung“ in dem Vertrag wiederfindet bzw. der im Vertragstext vereinbarte Gegenstand als „Arbeitnehmerüberlassung“ bezeichnet wird und/oder sich im Übrigen aus den vertraglichen Regelungen und deren Gesamtzusammenhang ergibt, dass eine solche durchgeführt werden soll; dies gilt jedenfalls, wenn sich die Parteien im Vertragstext nicht sprachlich von der Durchführung einer Arbeitnehmerüberlassung distanzieren.
Wesentlich ist dabei, dass die entsprechende schriftliche Offenlegung vor der Überlassung bzw. vor dem tatsächlichen Einsatzbeginn der überlassenen Arbeitnehmer bei dem Entleiher erfolgen muss.
Es ist nicht ausreichend, dass der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nach Beginn des Einsatzes von beiden Parteien oder auch nur von einer Partei – ggf. rückdatiert – unterzeichnet wird. Vielmehr muss der Vertrag durch die Wahrung der Schriftform wirksam geschlossen worden sein, bevor die Überlassung faktisch beginnt, wenn die Offenlegungspflicht gewahrt werden soll. Dies bedeutet gleichsam, dass der Vertrag nicht nur von den Beteiligten unterzeichnet worden sein muss, sondern dass die unterschriebene Vereinbarung der jeweils anderen Partei zudem zugegangen ist, also in der Regel im Original übergeben wurde. Für den Zugang gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen (§§ 130 ff. BGB). § 151 S. 1 BGB (Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung) findet ebenfalls Anwendung.
Dass für die Wahrung der Offenlegungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG ein formwirksamer, sprich unter Wahrung der Form nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG vor dem Einsatz geschlossener Arbeitnehmerüberlassungsvertrag erforderlich ist, hat das BAG in der hiesig besprochenen Entscheidung nun bestätigt – dies ist vor dem Hintergrund der überwiegend in der Literatur vertretenen (insoweit gleichlaufenden) Ansicht nicht überraschend. Weitergehend hat das BAG – wie schon das LAG Hamm in der zweiten Instanz – angenommen, dass auch die Konkretisierung des zu überlassenden Zeitarbeitnehmers nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG nur wirksam erfolgen kann, wenn ein formwirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vereinbart worden ist.
Für die Praxis spannend ist die Frage, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben können, dass der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht formgerecht abgeschlossen worden ist, insbesondere ob ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Zeitarbeitnehmer und dem Kunden fingiert wird. Dies wird vom BAG bejaht. Umstritten ist, ob dies nur der Fall sein kann, wenn sowohl gegen die Offenlegungs- als auch gegen die Konkretisierungspflicht verstoßen wird, oder ob es ausreichend ist, wenn nur eine dieser beiden Pflichten missachtet wird. Vorliegend kam es auf diesen Streit allerdings nicht an, da – so zumindest die Auffassung des BAG und des LAG Hamm – hiesig beide Pflichten nicht beachtet wurden.
Unabhängig davon, ob man die vom BAG vertretenen Ansicht als richtig und überzeugend ansieht, steht für den Rechtsanwender nun Folgendes fest:
- Wird der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht unter Wahrung der Form nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG geschlossen, wird die Offenlegungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG verletzt. Dies gilt auch für die Konkretisierungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG.
- Der Konkretisierungspflicht kommt in diesem Fall kein eigener Regelungsbereich mehr zu; wenn gegen die Offenlegungspflicht verstoßen wird, liegt in der Regel kein wirksamer, sondern vielmehr ein formnichtiger Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vor. Dieser stellt keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt für eine darauf aufsetzende Konkretisierung des Zeitarbeitnehmers nach § 1 Abs. 1 S. 6 AÜG dar. Der Verstoß gegen die Offenlegungspflicht hat – quasi automatisch – zur Folge, dass die Konkretisierungspflicht von den Beteiligten ebenfalls nicht mehr eingehalten werden kann. Dies gilt im Übrigen auch, wenn die Konkretisierung unter Wahrung der Schriftform erfolgen sollte. Die Fiktion des Arbeitsverhältnisses lässt sich folglich nicht vermeiden, wenn bei einem Verstoß gegen die Offenlegungspflicht noch eine (rechtzeitige) Konkretisierung des Zeitarbeitnehmers erfolgt.
- Eine abweichende Beurteilung kann allenfalls vorgenommen werden, wenn die Offenlegungspflicht durch den Abschluss eines formwirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrags beachtet worden ist und der Zeitarbeitnehmer sodann überhaupt nicht oder allenfalls verspätet konkretisiert wird. Die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses ist in diesem Fall, nämlich bei einem singularen Verstoß gegen die Konkretisierungspflicht bei gleichzeitiger Achtung der Offenlegungspflicht, zumindest unverhältnismäßig. Diese Ansicht wird vom LAG Hamm vertreten, ist allerdings vom BAG noch nicht bestätigt worden, so dass in diesem Zusammenhang bis auf weiteres eine Rechtsunsicherheit verbleibt.
Dem Personaldienstleister und dem Kunden ist aufgrund der aktuellen Rechtsprechung dringend anzuraten, auf die Einhaltung der Offenlegungspflicht nach § 1 Abs. 1 S. 5 AÜG zu achten, indem ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag unter Beachtung des Formerfordernisses nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG geschlossen wird. Ansonsten wird, unabhängig davon, ob noch eine Konkretisierung des Zeitarbeitnehmers erfolgt, – in der Regel ungewollt – ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert. Abgesehen von diesen arbeitsrechtlich relevanten Rechtsfolgen können noch Bußgelder und/oder erlaubnisrechtliche Maßnahmen drohen.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass durch das sog. BEG IV geplant ist, die Schriftform nach § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG auf die Textform „einzudampfen“. Wenn die Gesetzesänderung in Kraft tritt, dürfte sich die hiesige Diskussion weitgehend erledigt haben oder zumindest „entspannen“, da der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag dann unproblematisch wirksam per E-Mail oder mit gescannten Unterschriften auf der Vereinbarung geschlossen werden kann. Die Anforderungen an die Offenlegungspflicht werden mit der Einführung des Textformerfordernisses in § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG damit de lege ferenda entsprechend abgesenkt.
Solange hier aber nichts in trockenen Tüchern ist, sollte bis auf weiteres ein besonderes Augenmerk auf die Beachtung der Schriftform beim Abschluss des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags gelegt werden, möchte man nicht später ein böses Erwachen erleben. Die weitere Entwicklung bleibt daher abzuwarten und sollte sorgfältig beobachtet werden, insbesondere mit Blick auf das Datum des Inkrafttretens der geplanten gesetzlichen Neuregelung in § 12 Abs. 1 S. 1 AÜG.
Dieser Beitrag von Dr. Alexander Bissels wurde zunächst im „Infobrief Zeitarbeit“ veröffentlicht.